Ja, wer sind die Anderen?, wiederholte ich die Frage meiner Schwester und hob meinen Kopf neugierig an. Die Müdigkeit war nun komplett aus meinem Körper verschwunden, sodass ich mich schließlich vom Boden erhob. Ausgiebig streckte ich meine Glieder und bemerkte, dass ich ein gutes Stück gewachsen war. Papa erschien mir gar nicht mehr so riesig und Mama wirkte beinahe genauso groß wie ich. Wann war das passiert? Kaum war mir die Veränderung aufgefallen, weckte bereits etwas anderes mein Interesse. Gemütlich entfernte ich mich ein paar Schritte von meiner Familie, um mich genau vor den Ausgang der Höhle zu setzen. Mein Blick war auf den schwarzen Rüden gerichtet, der sich außerhalb der Höhle zum schlafen gelegt hatte. Onkel Billy! Erfreut ließ ich meine Rute hin und her schwingen, ohne mich von meinem Aussichtspunkt weg zu bewegen.

"Dann lass uns doch damit beginnen, Ihnen das Revier zu zeigen." schlug ich mit einem Lächeln vor und schmiegte den Kopf an den Rüden. "Und wenn es sich ergibt, können wir auch direkt noch das Jagen angehen." Ich war froh, dass das Interesse meiner Kinder inzwischen auch anderen Dingen galt und nicht nur mir. Das Gefühl ein lebender Milchbehälter zu sein, war unangenehm gewesen und mein Bauch schmerzte. Die Zähne und Pfoten hinterließen blaue Flecken auf meinem Bauch und die Schwellung drückte unangenehm. Es wurde mehr als langsam Zeit, dass ich meinen Körper wieder für mich selbst hatte und wieder in Form kam. Das Gefühl einer wabbelnden Tonne hatte schon vor längerer Zeit Besitz von mir ergriffen. Auf die Frage nach den anderen Wölfen blickte ich hilfesuchend zu Dash. Wie erklärte man in kindlicher Form, dass Wölfe nicht nur nett waren, sondern auch böse? Und wie erklärte man das alles, ohne ihre Neugier nach den anderen zu wecken? Ich seufzte leise während ich mich aufrichtete, teilweise aus Schmerz und teilweise um Zeit zu schinden. "Weißt du Kleines, außerhalb des Reviers gibt es noch mehr Wölfe. Streuner, aber auch andere Rudel. Und sie sind nicht immer nett zu anderen." Wieder blickte ich hilfesuchend zu Dash.

Mein Blick glitt zu Billy, welcher sich in unserer nähe hingelegt hatte und nun zu schlafen schien. Ich beobachtete ihn für einen Moment mit einem sanften Lächeln, ehe ich mich meinen neugierigen Welpen zuwandte, die nicht mehr ganz so klein waren wie einst. Sie wachsen so schnell. Ich hatte noch Bijous Vorschlag zustimmen wollen, doch mehr als ein Nicken bekam ich nicht mehr zusammen, als die Fragerei los ging und Bijou versuchte zu antworten, wobei sie mich aber recht verloren ansah. Ich überlegte kurz, meine Ohren drehten sich zur Seite, ehe ich mich ebenfalls einschaltete, Seth schien das Interesse an der eben noch gestellten Frage bereits verloren zu haben. Es ist wie eure Mama sagt, wir sind nicht die einzigen Wölfe auf dieser Welt, aber die einzigen auf die ihr von Anfang an vertrauen könnt. Man muss vorsichtig mit fremden Wölfen sein, manche von ihnen werden gemein zu euch sein, manchmal auch ohne, dass ihr was gemacht habt um das zu verdienen. Alleine der Gedanke daran, dass jemand meine Welpen schlecht behandeln könnte, mit oder ohne Grund, machte mich schon wütend, meine Kleinen hatten nur das Schönste und Beste verdient. Zum Beispiel die anderen Rudel, sie mögen uns Schattenwölfe nicht, weil sie Vorurteile hegen. Ihr dürft nicht jedem vertrauen den ihr trefft.

Während mein Blick nach draußen auf den Rudelplatz gerichtet war, zuckten meine Ohren aufmerksam hin und her. Ich verfolgte jedes Wort von Mama und Papa. Meine Neugier auf andere Wölfe stieg, während sie von ihnen erzählten und ich fragte mich, was wohl diese Vorurteile waren, von denen Papa sprach. Aber sie kennen uns doch gar nicht..., begann ich und drehte meinen Kopf ein wenig nach hinten, damit ich zu meinen Eltern und meinen Geschwistern sehen konnte. Wie können sie da schon wissen, dass sie uns nicht mögen?, fragte ich und erhob mich schließlich. Meine Nase schnupperte in der Luft, als ein leichter Hauch von draußen in die Höhle drang. So viele Gerüche lagen in der Luft und ich wurde unruhig. Ich war ausgeschlafen, ich war satt und ich wollte mich bewegen. Ungeduldig trat ich von einer Pfote auf die andere. Darf ich raus?, wollte ich wissen und warf erneut einen Blick zu meinen Eltern.

Mein Blick ging in die gleiche Richtung wie die des weißen Rüden um sehen, was er dort so liebevoll anlächelte. Sein Blick ruhte auf Billy, der sich in der Nähe von uns zum schlafen hingelegt hatte. Wieder einmal bewunderte ich die Ähnlichkeit zwischen uns, manchmal hatte ich das Gefühl mich in einer Pfütze zu betrachten, wenn ich auf den Rüden blickte. Er war etwas kräftiger gebaut und seine Augen leuchteten in einer anderen Farbe, aber selbst der weiße Fleck an der Brust glich meinem wie ein Abbild. Ein leises Seufzen entfuhr mir. Ob er mich genauso ansieht? Es wurmte mich, dass ich mir diese Frage überhaupt stellte. Früher wäre es mir egal gewesen. Wenn nicht Dash, wäre ein anderer Rüde an seiner Stelle schon gekommen. Doch ich wollte diesmal wirklich, dass er mich so ansah und nicht ein anderer. Wieder seufzte ich, ehe ich mich auf die Worte konzentrierte, die an unsere Kinder gerichtete waren. Seth verfolgte es mit gespitzten Ohren und schien sich auch wirklich Gedanken zu machen, doch die Aufmerksamkeit hielt nich lange an. Ein lautes, helles Lachen erklang aus meinem Mund als ich nickend die Erlaubnis gab. "Geh ruhig raus. Doch bleib in der Nähe, bis wir dir die Rudelgrenze gezeigt haben!" ermahnte ich ihn noch.

Ich wartete Mamas Worte kaum ab, da flitzte ich bereits aus der Höhle. Jahaaa!, rief ich ihr eilig über meine Schulter zu. Ich wollte am liebsten die ganze Welt erkunden, wissen was hinter den vielen Bäumen verborgen lag und herausfinden was dieses Rauschen war, was ich ganz leise hier auf dem Rudelplatz hören konnte. Doch ich erinnerte mich auch noch sehr gut an meinen letzten Ausflug und wie schrecklich hilflos ich mich gefühlt hatte, als meine Familie nicht mehr bei mir gewesen war. Das wollte ich ungern nochmal erleben, auch wenn ich jetzt schon größer war...
Aufgeregt schnupperte ich über den Boden. Ich konnte Aylia riechen, auch wenn sie gar nicht mehr hier war und Onkel Billy! Der schwarze Rüde schlief noch immer. Kurz überlegte ich, ob ich zu ihm laufen sollte, doch ich entschied mich dagegen. Viel lieber wollte ich an den zahlreichen Sträuchern vorbei laufen und steckte überall neugierig meine Nase hinein.

Setz dachte scharf über das Thema nach über welches wir sprachen und ich wartete geduldig bis er seine eigenen Gedanken zu dem Thema gesammelt und formuliert hatte. Das ist das Problem mit Vorurteilen. Sie ergeben keinen Sinn. Dann allerdings hatte Seth auch schon andere Dinge im Kopf und ich musste einfach Schmunzeln, sein Geist sprang noch so locker von einem Thema zum anderen. Bijou erlaubte es ihm etwas erkunden zu gehen, doch ich stimmte ihr auch gleich mit einem Nicken zu. Schau, dass du den Weg zurück immer kennst. Er war bereits einmal im Revier verloren gegangen, so einen Schrecken brauchte er wirklich nicht noch einmal. Bijous Lachen, hell und glockenrein, klang mir immer noch in den Ohren nach und ich betrachtete die schöne, schwarze Fähe neben mir Rutewedelnd. Hab ich dir schon einmal gesagt wie wunderschön dein Lachen klingt?

"Aber warum sind sie denn gemein?" ich legte den Kopf ein wenig schief und begann angestreng darüber nachzudenken, aber es ergab einfach keinen Sinn. Doch die Antwort auf diese Frage musste sich wohl noch etwas gedulden. Denn noch im selben Moment stürzte mein Bruder schon davon. Ich legte die Ohren an und warf Mama und Papa abwechselnd ungeduldige Blicke zu. Als Papa schließlich irgendetwas über Mamas Lachen sagte, wurde es mir dann doch zu doof. Ich rollte mit den Augen und schoss Seth hinterher. Wenn er gehen durfte, dann durfte ich das doch sicher auch. "Bis später" nuschelte ich mir noch schnell zurecht und war dann auch schon außer Sicht. Nervös blickte ich mich nach meinem Bruder um und es dauerte nicht lang, bis ich ihn erblickte. So schnell ich konnte, hastete ich ihm hinterher. Er schien irgendwas gefunden zu haben. "He - was machst du?" rief ich ihm zu, stoppte abruppt neben ihm und reckte meine Nase schnüffelnd in seine Richtung.

Während ich den Boden um die Sträucher herum abschnüffelte, richteten sich meine Ohren aufmerksam auf. Das Rauschen welches ich vorhin bemerkt hatte, schien etwas lauter geworden zu sein und ich hob neugierig meinen Kopf. Was ist das bloß für ein Geräusch? Ich platzte beinahe vor Neugier. Doch plötzlich tauchte Vitani wie aus dem Nichts neben mir auf. Mein Kopf schnellte in ihre Richtung, ehe ich sie kurz dabei beobachtete, wie sie ihre Nase in die Luft streckte. Hörst du das auch?, fragte ich leise. Ich wollte das Geräusch nicht übertönen und aus irgendeinem Grund wollte ich auch nicht, dass mich jemand anderes außer meine Schwester hörte. Erneut legte ich meine Aufmerksamkeit auf das Rauschen. Ich blickte mit aufgestellten Ohren zu dem Gestrüpp, neben dem wir standen und streckte dann meinen Kopf hindurch, in der Hoffnung irgendwas erkennen zu können. Nichts! Frustriert schnaubte ich und sah mich dann nochmal genauer um. Hier waren Sträucher, auf der rechten Seite waren zwei große Bäume mit kleinen Bättern und ungefähr drei Wolfslängen entfernt war ein großer Stein. Ich muss mir nur die Umgebung merken, dann finde ich wieder zurück! Das war es doch, was Papa gesagt hatte. Oder? Nachdenklich zog ich meinen Kopf wieder aus dem Gebüsch und sah über meine Schulter zurück zur Höhle. Und wenn ich jetzt da durch gehe, bin ich zwar nicht mehr in Sichtweite aber trotzdem in der Nähe, wie Mama es wollte.... Spricht also nichts dagegen., sagte ich in Gedanken zu mir selbst. Fröhlich begann meine Rute hin und her zu schwingen. @Vitani komm! Ich will wissen, was das für ein Geräusch ist! Kurz stupste ich meine Schwester auffordernd mit der Schnauze an, ehe ich zwischen den Sträuchern verschwand.

--> Schwarzbach

Hörst du das auch? hastig hob ich meinen Kopf, hielt inne und lauschte. Zwar war ich mir nicht sicher was mein Bruder meinen könnte, nickte jedoch eifrig mit dem Kopf. "Ja! Wo kommt es her..?" Ich passte meine Lautstärke seiner an und sah aufmerksam in dieselbe Richtung wie Seth, in der Hoffnung er würde nicht merken, dass ich keine Ahnung hatte wovon er sprach. Es musste etwas sehr aufregendes sein, da war ich mir sicher. Kaum hatten diese Worte meine Kehle verlassen, stupste er mich auch schon an und verschwand im Gestrüpp. So schnell ich konnte, huschte ich ihm hinterher. Meine Nackenhaare richteten sich vor Spannung auf. Das hier musste der beste Tag überhaupt sein.

>>> Schwarzbach

<-- Schwarzbach

Ich musste auf dem Rückweg ein paar Mal stehen bleiben, um mich wieder zu orientieren und zurück nach Hause zu finden. Doch ich hatte es geschafft! Stolz auf meine Leistung, trat ich auf den Rudelplatz. Doch irgendetwas stimmte nicht. Vitani?, fragte ich und sah über meine Schulter, ob mir meine Schwester gefolgt war. Es war so ruhig. Wo war Onkel Billy, der dort hinten geschlafen hatte, als wir zum Bach gegangen sind? Und auch sonst war keiner zu sehen. Mit klopfendem Herzen und aufmerksam aufgestellten Ohren suchte ich den Rudelplatz mit meinen Augen ab, ehe ich nervös bellend zu unserer Höhle lief. Mama? Shimuck? Oh nein! Ängstlich jaulte ich. Wo waren denn alle? Wie lange waren wir weg? Vollo? Papa???

Blöde Vitani. Blöde Seth Blöder Shimuck. murmelte ich vor mich hin. Alle waren irgendwo und erlebten coole Abenteuer. Ich erlebe auch ein cooles Abenteuer. dachte ich mir bevor ich mich in die Böschung stürzte und ohne Orientierung in das Tal lief.

-> Lachsfluss

Ich nusste wohl eingedöst sein, auch wenn ich mir nicht erklären konnte wie das passiert war. Ich schreckte hoch, da es um mich herum still war. Zu still. Ich war sofort auf den Pfoten und sah mich um. Ich war alleine. Alle waren weg. Bijou, die eben noch neben mir gelegen hatte, Billy, der doch in Blickweite sein sollte, sogar Vollo war verschwunden. Mein Herz zog sich unangenehm zusammen, auch wenn ich versuchte mir einzureden, dass es sicherlich eine natürliche Erklärung für all das hier gab. Plötzlich hörte ich aber eine vertraute Stimme und atmete dich etwas auf. Seth! Ich sprang zu ihm hinüber und begann erleichtert ihn zu beschnuppern um sicher zu gehen, dass er okay war. Da bist du ja. Gehts dir gut? Wo ist Vitani?

Hektisch schnüffelte ich mit der Nase über den Boden. Irgendwo musste doch ein Hinweis sein! Aber meine Aufregung und die vielen verschiedenen Gerüche, die überall auf dem Rudelplatz hafteten, ließen mich noch mehr verzweifeln. Warum kam Vitani nicht hinterher? Plötzlich hörte ich eine vertraute Stimme, die meinen Namen rief und mein Kopf schnellte sofort hoch. Papa!, stieß ich erleichtert aus. Der weiße Wolf war schnell bei mir und ich schmiegte mich Rute wedelnd an ihn. Dem Himmel sei Dank!, dachte ich. Mein Fell ist ganz nass. Ich bin in das Wasser gefallen!, erklärte ich. Auch wenn das gerade ziemlich nebensächlich war, wollte ich es dennoch erwähnen. Vitani war direkt hinter mir, als ich hier her zurück gelaufen bin. Wo sind denn alle hin, Papa?