Nachdem ich ein paar Schlucke genommen hatte richtete ich mich wieder auf. Meine langen Beine trugen mich ein wenig näher an die Fähe heran. Ich hatte mich genug ausgeruht, sodass meine miese Laune in den Hintergrund gerutscht war. Warum strapaziert das Verhalten anderer Wölfe meine Nerven so sehr? Sie können mir doch allesamt egal sein. Das habe ich schon oft genug bewiesen. Ich setzte mich und erwiderte das Mustern nun ebenfalls. Auf ihrer Nase prangte eine Narbe, die mich überlegen ließ, ob sie mit solch einer Verletzung noch gut genug riechen konnte. "Ja, sicher. Er scheint wohl gerne aus der Reihe zu tanzen", sagte ich, nicht minder ironisch und herablassend, als vorher schon. Natürlich war es an sich nichts schlimmes, nicht "Gewöhnlich" zu sein, schließlich war ich auch nicht gerade der Inbegriff von Normalität, doch es kam auf die Art und Weise an, wie man sich von den anderen unterschied. Ein anderes Rudel zu reizen war für mich keine gute Wahl.

Ich ließ mich von ihrer abweisenden Kopfbewegung nicht beirren. Auch wenn sie etwas zu stören schien – womöglich mein Blick auf ihre Narbe – schien sie noch genug Interesse zu haben um mir Fragen zu stellen. "Oh doch, für die kurze Zeit, die ich erst hier bin, durchaus ein paar. Da war eine Junge Wölfin in dem nebeligen Gebiet. Furchtbar leichtsinnig. Ein Rüde traf uns, der laut eigener Aussage eine Nervensäge ist. Am Fluss ließ ein lachendes Fellbündel beinahe nicht mehr von mir ab und dein Freund schien ebenfalls nicht gerade verantwortungsbewusst. Meine Begegnungen bisher waren also eher ernüchternd, doch das ist nichts Neues", erklärte ich. Die Betonung des Wortes "Freund" war fragend, denn ich wollte keine falschen Vermutungen anstellen. Allerdings hoffte ich, dass sie ihre Energie nicht weiter an solch einen Schwachkopf verschwendete.
Es überraschte mich wirklich wenig, dass es hier nicht besser war, als an den vielen anderen Orten, die ich bisher gesehen hatte.

"Hallo Aylia, ich bin Cato", begrüßte ich sie der Höflichkeit wegen, bevor ich mich wieder dem Thema widmete, "Das kann man so sagen. Ich hoffe wirklich sehr, dass es nun bergauf geht. Einen Anfang haben wir ja schonmal." ich lächelte, auch wenn ich nicht wusste, ob sie ihre Aussage über den Verrückten nun ernst meinte, oder nicht, denn ihr Grinsen widersprach ihren Worten.

Belustigt beobachtete ich, wie ihre Ohren zuckten. Sie hatte wirklich Glück, mich mit guter Laune erwischt zu haben, oder meine Erwartungen waren einfach so tief gesunken, dass ich die mittelmäßigsten Wölfe nun als gute Gesellschaft wahrnahm. Innerlich schüttelte ich den Kopf über mich selbst. Ich musste meine Freundlichkeit nicht rechtfertigen, immerhin war ich nicht unerträglich, solange man sich selbst richtig verhielt.
Ihr Blick entging mir nicht, doch anders als sie scheute ich mich nicht davor. Die Narbe war einfach ein sichtbares Zeichen, das das Leben auf mir hinterlassen hatte. Ich hatte sie sogar zu schätzen gelernt, denn sie erinnerte mich immer wieder daran, Fremden nicht zu viel Vertrauen zu schenken, auch wenn ich diese Erinnerung eigentlich nicht brauchte. "Das Leben", seufzte ich, "Ich folge einfach meiner Intuition." Eine bessere Erklärung gab es schließlich nicht.

"Interessant, dass du es überhaupt in Betracht ziehst, dass ich eine Begleitung im Schlepptau habe," lachte ich und folgte ihrem Blick kurz, wandte mich ihr dann aber wieder zu."Ja, ich bin alleine unterwegs", bestätigte ich. Ich hatte wirklich schon lange keine Begleitung gehabt, oder gar bei einem Rudel gelebt. Das waren die ersten Jahre gewesen, in denen ich mich noch nicht vollkommen auf mich selbst verlassen hatte.

Ich senkte meinen Kopf bei dem Versuch ihren Blick einzufangen. Sie schien das Gesagte zu bereuen, doch mein Lachen wurde nur intensiver. Offensichtlich hatte sie meine Aussage falsch verstanden. Ich erinnerte mich an Bekanntschaften, die beinahe Freundschaften geworden waren und sogar die ein oder andere Fähe, die gerne mehr Zeit mit mir verbracht hätte. Es war nie die Entscheidung der anderen gewesen, mich wegzuschicken, sondern ich war immer freiwillig gegangen. "Es liegt nicht an den anderen, dass ich alleine reise", erklärte ich und legte den Kopf nachdenklich schief, "Zumindest nicht daran, dass sie nicht wollen."

Ich musste mir eingestehen, dass ich wirklich erleichtert war, mal einen augenscheinlich vernünftigen Artgenossen gefunden zu haben. Der Ansatz eines Lächelns auf ihren Lefzen ließ mich schmunzeln. Sie schien Lächeln, geschweige denn Lachen nicht gewohnt zu sein, was sie noch etwas sympathischer machte. "Glaub mir: Ich gehe von selbst, wenn ich jemanden satt habe", sagte ich. Ich hatte mich bewusst hart ausgedrückt, um meine Ernsthaftigkeit zu unterstreichen. Viele konnten mir dieser Art nicht umgehen, was mich hin und wieder dazu verleitete mein Gegenüber auf diese Weise zu testen. "Euer Rudel...", fuhr ich nachdenklich fort, ihre Reaktion auf meinen vorherigen Satz genauestens beobachtend, "Was ist das denn für eine Truppe? Dieser weiße Rüde gehört wohl auch dazu, nehme ich an?" Ich war grundsätzlich erstmal nicht abgeneigt, doch musste ich natürlich wissen, worauf ich mich einlassen würde.

Sie nahm meine Aussage wirklich gelassen, doch ich ihre Antwort eher nicht. Ich hatte Verständnis dafür, dass Rudel schwere Zeiten durch machten, und auch dafür, dass nicht alle immer miteinander klar kamen, doch dass der Alpha jung sein sollte schreckt mich wirklich ab. Ich hatte damit ausschließlich schlechte Erfahrungen gemacht. Mich nur auf seine Kompetenz zu verlassen, weil eine Fremde meinte ihm zu trauen fiel mir gar nicht erst ein. "Wie jung? Was hat er geleistet, dass er zum Alpha wurde?", fragte ich nach, auch wenn ich jetzt wieder wenig Hoffnung hatte. Auch meiner Meinung Aylia gegenüber versetzte das einen Dämpfer. Natürlich konnten ältere Wölfe genauso schlechte Anführer sein, doch das war nicht der Punkt. Warum genau ärgere ich mich jetzt darüber? Es ist nicht verwunderlich, dass etwas letztendlich nicht so toll ist, wie es zuerst aussieht – und das weiß ich.