Ich wanderte weiter landeinwärts in südöstlicher Richtung und orientierte mich an dem riesigen Berg vor mir. Das Terrain stieg immer weiter an, aber es machte mir nichts aus. Ich war beweglich und ausdauernd. Meine Kräfte waren wieder da und es machte Spass, von Felsen zu Felsen zu springen. Es gab hier oben auch Beute und nach einigen lehrreichen Fehlversuchen hatte ich es heraus, wie ich die wachsamen Nager (Murmeltiere) überraschen und überlisten konnte. Zufrieden über meinen Jagderfolg legte ich eine Essenspause ein und verzehrte gemütlich das fette Tier. Es schmeckte so ähnlich wie Kaninchen, nur etwas würziger. Auch der Geschmack gefiel mir. Anschließend trank ich etwas Regenwasser, das sich in einer Steinmulde gesammelt hatte und ruhte ein wenig aus. Ich war dem grossen Gipfel schon ein gutes Stück näher gekommen.
Ich wanderte so lange, bis ich wieder zweifelsfrei freies Gebiet erreicht hatte. Die Berge waren groß und schön. Es gab andere Plätze und ich sollte mir diesen grossen Gipfel aus dem Kopf schlagen. Er gehörte einem der grossen Rudel, das war jetzt klar. Ich erinnerte mich an das, was ich über die freien Gebiete gehört hatte und wusste. Es war nicht sonderlich viel, aber der Frieden hing wohl davon ab, dass die hiesigen Gebräuche respektiert wurden. Das sah ich ein. Ich würde das Gebiet dieses Rudels nie wieder betreten.
Mit gesengtem Kopf streifte ich durch eine flache Ebene im Gebirge und machte mir Gedanken über das Verhalten der Anderen. Warum waren sie gleich so aggressive? Ich habe doch sogar versucht mich zu entschuldigen! Ich beschloss keinen der Rudelmitglieder mehr zu treffen und nurnoch feindselig ihnen gegenüber aufzutreten. Zwei Rudel sind schon mal von der Liste. Jetzt bleiben noch drei.
Es war nicht sonderlich schwer der Fährte von Illuma zu folgen, da sie doch ziemlich gezielt lief. Illuma..warte..bitte.. Der Ton meiner Stimme war möglichst weich. In einigem Abstand blieb ich stehen und sah abwartend zu der jungen Fähe..ob sie mir überhaupt zuhören würde?
Ich konnte Illumas Reaktion gut nachvollziehen und blieb daher auf Abstand, um ihr zu zeigen dass ich sie nicht angreifen wollte. Ich..wollte mich bei dir entschuldigen. Ich..ich habe auf dem Rudelplatz über reagiert. Ich senkte etwas den Kopf.. Es..es ist leider so, dass ich sehr empfindlich reagiere, wenn sich einer meiner Welpen verletzt. Die Welpen..sind so klein..habe so zarte Knochen, da kann ein derart ruppiges Spiel schnell zu Verletzungen führen, die nicht verheilen. Ich wollte Illuma einfach nur den Ernst der Lage klar machen, ihr zu verstehen geben, warum ich so wütend reagiert hatte.
Ich nahm ihren Abstand zum Guten an und legte die Ohren an, meine aggressive Haltung hielt ich dennoch bei auch wenn sie etwas bei diesen Worten abschwächte. Das kann ich verstehen. Aber bedenke ich bin selbst noch ein 'Welpe' und kann daher nicht gleich darauf eingehen. Ich bin zwar stärker, habe aber das Verhalten in meinem Rudel selbst in jüngerem Alter beobachtet, aber nie verstanden. Da ich jetzt etwas älter bin kann ich es nachvollziehen. Auch bei mir kann es passieren das ich, obwohl ich sanft sein will, auch mal abrutsche und etwas zu ruppig bin. Ich senkte ebenfalls den Kopf. Aber ich konnte nun mal nicht lange in meinem Rudel bleiben..
Ich blieb weiterhin auf Abstand. Nun zumindest bist du nicht in einem Rudel groß geworden, in welchem dir beigebracht wurde, sogar deine Geschwister zu töten, oder? Meiner Stimme lag Bitterkeit bei. Ich dachte mir schon, das du nicht die Gelegenheit hättest es zu lernen. Ich werde dich weder zwingen noch anbetteln, mit zurück zu kommen. Ich wollte mich für mein Verhalten entschuldigen. Mit diesen Worten erhob ich mich und wand mich ab. Mia würde sich freuen, wenn du zurück kommst. mit diesen Worten wollte ich los gehen.
Erst sah ich Ying schweigend an rang mich jedoch eine Antwort ab. Sag Mia das ich zurückkommen werde, aber nicht jetzt und nicht in den nächsten Tagen. Ich werde nachdenken und umherstreunern. Und wenn ich wiederkomme werde ich nicht sehr lange bleiben. Mit diesen Worten huschte ich davon.
Ich nickte bei Ilumas Worten. Es war ihre Entscheidung ob sie kam und blieb. Nur war fraglich ob Marek dies so dulden würde. Ich würde mit ihm reden müssen. Doch nun würde ich erstmal ein wenig laufen, ehe ich zu den Welpen zurück kehren würde.
--> Ying auf Umwegen zum Rudelplatz des Silberrudels
Ich lief durch die Berge und mein Geist klärte sich. Meine Gedanken wurden wieder ruhig und geordnet, während ich die zahllosen Informationen und Eindrücke sammelte und ordnete. Das Gebiet war unübersichtlich und schien für den oberflächlichen Betrachter nur aus Steinen, Felsen und wenigen Bäumen und Pflanzen zu bestehen, aber wenn man genauer hinsah, wimmelte es überall von Leben. Murmeltiere, Kaninchen und Hasen gab es reichlich und überall. Mufflons und Gemsen folgten ihren Pfaden. Ich fand sogar Bärenspuren. Sicherlich hatte das grosse Raubtier auch irgendwo eine Höhle. Und dann die Vögel. Adler, Bussarde und Falken beherrschten die Lüfte und liessen sich von den Bergwinden in die Lüfte tragen. Tauben gurrten unter Felsvorsprüngen, ein Rotkehlchen fing einen Wurm und flog mit ihm zu einem Ginsterbusch, der offenbar der Kern seines Reviers darstellte, blaugrüne große Eichdechsen genossen auf warmen Steinen die Nachmittagssonne, eine Frettchenmutter führte ihre halbwüchsigen Jungen zu einem Jagdausflug und ein kapitaler Rothirsch geleitete und beschützte seine Hirschkühe, die er aus dem Bergwald hinaus auf eine Alm führte, wo es reichlich frisches Grün zum Grasen gab. Als ich wieder einmal einen guten Aussichtspunkt auf einem der kleineren Anhöhen erreicht hatte, entdeckte ich auf einer benachbarten Anhöhe, von mir nur durch eine tiefe Schlucht getrennt, einen weiteren Einzelgänger, der wie ich alleine unterwegs war und von dort oben aus die Gegend erkundete. Ein solches Tier hatte ich noch nie gesehen, aber ich hatte Erzählungen darüber gehört und schloss daraus, dass es sich um einen Luchs handeln musste. Luchse waren selten und in meiner Heimat hatte es keine gegeben. Dieser hier war ein großer erwachsener Kuder und er stand auf seinem Platz und ließ seinen Jägerblick gelassen über das Gebiet schweifen. Unsere Blicke begegneten sich und ich las in seiner Miene den gleichen Respekt, den ich auch ihm zollte. Wir waren beide Jäger und die Berge waren groß und reich. Es gab genug Raum und Beute für uns beide. Nach einer Weile trollte sich der Luchs und auch ich zog weiter. Allmählich kam ich wieder in die Gegend, wo die schutzlose Fähe mit ihren Welpen lebte. Seit unserer Begegnung waren über zwei Tage vergangen und die Gemse war sicherlich aufgebraucht, so mager und ausgehungert, wie die Fähe gewirkt hatte. Also wandte ich mein neuerworbenes Jagdwissen an und erlegte nacheinander zwei Murmeltiere, die schön fett und nahrhaft waren und gut schmeckten, wie ich ja inzwischen wusste. Dann brachte ich meine Beute zu der Höhle oder Felsspalte, wo ich die Fähe und ihre Jungen riechen konnte. Ich vernahm keine Geräusche außer von regelmäßigem Atem- und das auch nur, als ich mich leise dem Eingang genähert hatte. Sie schlief wohl gerade. Vor dem Eingang lagen die abgenagten Knochen der Gemse. Es war nichts mehr übrig, wie ich es mir gedacht hatte. Vorsichtig, um kein Geräusch zu verursachen, legte ich die beiden Murmeltiere daneben ab und machte mich wieder von dannen, ohne die Fähe zu wecken und zu stören. Sie würde die Beute schon bemerken, wenn sie wieder wach war. Dann zog ich weiter.
Ich wanderte eine ganze Weile durch die Berge bis ich erneut einen guten Aussichtspunkt fand. Es war ein ziemlich steiler Felsen, der auf einer Anhöhe thronte und einen sehr guten Überblick über die Gegend versprach. Da oben hinauf zu gelangen war ein wenig kniffelig, aber wofür besaß man schließlich seine Krallen? Als ich endlich ganz oben war, hielt ich vor Staunen den Atem an. Nach Süden hin endete das Gebirge schon bald. Es wurde abschüssig und ging rasch in einen schmalen Streifen Bergwald über, um dann am Ufer eines Flusses zu enden. Vermutlich war das wieder der Lachsfluss, an dem ich mit Morgra schon gewesen war. Auf der anderen Seite des Flusses machte ich ein Wäldchen aus. Von dort waren wir wohl gekommen. Auch weiter im Osten war Wald. Das Gebiet war riesig. Ich beschloss hier eine Weile zu bleiben, während der Bergwind auf angenehmste Weise mein Fell zauste und mir die Gerüche der Umgebung zutrug. Hier, so fühlte ich, würde mich keiner davonjagen.
Ich hatte mich kichernd dem großen Fleck zugewand der jetzt viel mehr Einzelheiten hatte. Der Fleck neben mir war etwas kleiner als ich , aber dann ging das große und ich rollte unbeholfen zur Seite. Hmm, brummte ich etwas aufgebrachter bevor ich mich wieder hoch gedrückt hatte. Dann drückte ich mich komplett auf die Pfoten und sah wacklig zu dem Fleck mit Konturen auf, ich musste es irgendwie nennen. Hmmm?, machte ich fragend damit es mir seinen Namen verriet. Ich machte eine Pause beim warten um zu trinken, dann drückte ich mich wieder hoch und sah den großen Fleck an. Ob ich auch so aussah?, fragte ich mich und leckte mir über die Nase.
Ruhe überkam mich, als ich auf dem Felsen lag und dem Wind lauschte. Bald schien es mir, als könnte ich im An- und Abschwellen der Windes einen Rhytmus oder sogar ein Lied vernehmen. Meine Gedanken lösten sich allmählich auf und meine Gefühle entströmten mir, bis ich ganz allmählich leer und still wurde.
Langsam kehrte die Zeit zurück und die Gedanken. Ich erwachte endgültig aus meinem Dämmerzustand, als sich eine Fliege auf meiner Nase niederließ und mich kitzelte. Ich nieste kurz und dann war ich wach. An meinen steifen Gliedern merkte ich, dass ich lange Zeit weggetreten war-wahrscheinlich länger als einen Tag. Mein Magen knurrte und machte sich so bemerkbar. Hunger! Ich sollte etwas jagen gehen. Mein Blick ging hinunter ins Tal, wo der grosse Fluss war. Nein, zum fischen hatte ich keine Lust. Aber der Bergwald bot ja auch interessante Möglichkeiten. Ich beschloss sie zu erkunden und machte mich gemütlich an den Abstieg.
Wolfsrudel - Das Leben der fünf Rudel
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31.10.2017 14:50
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