Ich schluckte.
"Ja, ich auch! Aber der Eid an Morgana bindet mich. Erst wenn sie einwilligt, dass du ins Rudel darfst, können wir die Leber teilen. Doch diese hier - sie soll dir ganz gehören! Wenn die Anführerin dich akzeptiert, werden wir noch öfter zusammen jagen. Es wird eine neue Leber geben, Bellisssima!"

Da ich bisher noch nichts gefressen hatte, holte ich das jetzt erst einmal nach. Nieren, der Magen und auch die Milz waren ebenfalls Leckerbissen und ich schlemmte. Als ich einmal angefangen hatte, merkte ich erst, wie hungrig ich war. Der lange Schlaf verdrängte das Bewusstsein, dass man ebenso lange auch nichts mehr gefressen hatte.
Ich blickte zu Dagger, die bislang nur die Leber gefressen hatte.
"Komm´ Liebste! Iss´dich auch erst einmal satt! Die Innereien können wir ja sowieso nicht mitnehmen!"
Mir war nicht entgangen, dass ihre Stimmung ein wenig reservierter geworden war, aber was hätte ich machen sollen? Wie konnte sie meinem Eid vertrauen, wenn ich dafür einen anderen brach?

Offenbar verstand Dagger und wirkte auch gleich entspannter. Sie alberte sogar ein bisschen herum, was mich amüsierte.
Wir speisten zusammen - wie eine richtige Familie.
Schließlich war es genug.
Wenn man zuviel fraß, konnte man hinterher nicht mehr arbeiten und der Elch kam nicht von alleine zum Rudelplatz.
Ich überlegte mir, was ich wohl dem Rudel und vor allem Morgana sagen sollte, wenn Dagger mit dabei war. Einen rudelfremden Wolf ins Revier und dann auch noch zum Rudelplatz zu bringen, das war delikat. Andererseits hätte ich den Elch niemals alleine schleppen können und hatte mich Morgana nicht auch zu Dagger losgeschickt?
Ich beschloss - wie eigentlich immer - ohne langes Drumherum die Wahrheit zu sagen. Mochte Morgana entscheiden, wie sie es für richtig hielt.

"Si, alles tutto perfetto!" antwortete ich automatisch. Dann wurde mir bewusst, dass Dagger sich bemüht hatte, extra Italienisch mit mir zu reden. Das nahm ich als echten Liebesbeweis.
Sie sah mich mit großen Augen an. Ihre Augen waren faszinierend - vor allem das blaue.
"Ich meinte, ja, es ist alles in Ordnung!" übersetzte ich noch schnell meine Antwort.
"Ich habe nur etwas nachgedacht, wie wir unser Anliegen bei Morgana durchsetzen könnten. Sie ist streng, sehr dominant, aber auch weise und hat ein gutes Herz. Am besten stelle ich dich erst einmal als Gast vor, der mir maßgeblich bei der Jagd und dem Transport des Elches geholfen hat. Das Rudel hat nicht allzu viele gute Jäger. Sie wird deinen Wert erkennen und sehen, dass du nützlich sein kannst. Allerdings legt sie auch Wert auf ihre Dominanz und da wäre es gut, wenn du ein Zeichen setzen könntest und dich ihr nach alter Sitte unterwerfen würdest, wenn die Sprache darauf kommt, ob du dem Rudel beitreten möchtest. Ich habe das auch getan, obwohl ich vorher der Anführer in meinem eigenen Rudel gewesen war. Wenn du das tust, beweist du nicht nur deine Loyalität, sondern auch dein Vertrauen. Ich werde natürlich auch für dich sprechen. Na, was meinst du?"

Ich lachte ebenfalls - erfreut und erleichtert, dass sie mit mir einer Meinung war.
"Gleich!" meinte ich. "Ich erzähle dir noch ein wenig über das Rudel, damit du weisst, was dich dort erwartet.
Es gibt etliche Jungwölfe. Sie sind ganz nett. Aber Morganas ältester Sohn Jive, der mag mich nicht besonders. Vielleicht liegt es daran, weil ich Kobald seiner Freundin einmal ein Kompliment gemacht habe. Tristan ist Morganas Gefährte - der Stellvertreter und obendrein der offizielle Rudelheiler. Er hat Jukko schon ein paar Mal zur Schnecke gemacht, weil der sich wohl in seine Heilerangelegenheiten eingemischt hatte. Aber sonst ist er ganz umgänglich. Dann ist da noch Barbossa, ein merkwürdiger Wolf, der nur Grünzeug frißt und mit einem Hasen befreundet ist. Ja, tatsächlich, ein Hase! Er heisst Marco und die anderen behandeln ihn wie ein vollwertiges Rudelmitglied. Ich weiss, dass das sehr seltsam klingt. Am besten ignorierst du diesen Hasen einfach. Ihn zu jagen wäre keine gute Idee. Das wäre es auch schon! Ziehen wir los?"
Ich wartete ihre Antwort nicht ab und packte stattdessen den Elch bei der Kehle, so, wie ich auch einen Hirsch transportieren würde. Aber das hier war kein Hirsch und ich musste auf Dagger warten, dass sie ebenfalls mit anpackte.

Ich zuckte zur Bestätigung mit meinem linken Ohr.
Dann ging es los!
Der Weg zum Rudelplatz war nicht weit, aber der Elch war schwer. Ich war schon immer ein kräftiger Wolf gewesen, aber jetzt war ich froh, dass ich Hilfe hatte. Wir kamen gut voran.
Schon sah ich die Lichtung vor mir und die Gerüche des Rudels stiegen in meine Nase.

----- Rudelplatz der Nebelwölfe

Ich wanderte durch das Wäldchen, das am Ende nach Norden hin das Revier begrenzte.
Dort war auch der große Fluss und das Wäldchen ging allmählich in den großen Wald über. Insgeheim hielt ich das Wäldchen für nichts anderes als den großen Wald selbst. Jagdbeute gab es hier reichlich.
All das erklärte ich meiner Gefährtin und fügte hinzu:
"Ich bin ja so froh, dass Morgana dich akzeptiert! Jetzt wird alles gut!"