Während die anderen sprachen, hatte ich angefangen an dem Hasen herumzuknabbern, doch der Hunger machte sich nicht wirklich in mir breit. Irgendwann merkte ich wie erschöpft ich war. Die Stimmen meiner Rudelmitglieder beruhigten mich und das Vertrauen, das ich in sie setzte, gab mir ein warmes wohliges Gefühl. Und so glitt ich langsam in einen traumlosen Schlaf über.
Ich nahm etwas von dem Kraut, dass Dawn mir hingelegt hatte. Sais Berührung hatte mich kurz wieder etwas zurückgeholt, auch weil es ihr nicht ähnlich sah, einen Wolf auf diese Art zu berühren. Die Worte meines Rudels halfen mir. Acyra übernahm die Führung und ich spürte, wie sehr ich ihr vertraute. Auch Sai und Dawn meldeten sich zu Wort. Es tat gut zu wissen, dass sie alle für mich da waren. Vielleicht hatten sie auch recht. Vielleicht hatte ich mich nur zur Wehr gesetzt? Ein Gefühl in mir ließ nicht zu, dass ich diesem Gedanken wirklich glauben schenken konnte, doch richtig benennen und zuordnen konnte ich es nicht. "Ich danke euch", sagte ich. "Euch allen."
Acyra stupste mich an, doch ich spürte es kaum. Es beschäftigte mich alles zu sehr. Ich trat etwas mehr in die Mitte des Rudelplatzes, ohne richtig auf jemanden zu reagieren und legte mich hin. Den Kopf über meine Pfoten gelegt. Mdine Gedanken hörten nicht auf zu kreisen. "Es ist nicht nur, dass mir ein kurzer Moment odef nur die Jagd fehlt", erzählte ich dann. "Mir fehlen Tage. Glaube ich zumindest." Mein Blick ging zu Dawn und Acyra. Kurz streifte ich mit Rebell, doch es war mir unangenehm, dass er seinen Vater so sah. Talia war schon wieder verschwunden. Letztendlich blieb mein Blick an Sai hängen. "Ich kam wieder zu mir mit Blut an meinem Körper. Wolfsblut... ich habe Angst, dass ich... vielleicht..." Ich verstummte, wandte den Blick ab und presste schmerzerfüllt die Augen zusammen. Alleine der Gedanke, ich hätte jemanden umgebracht, sorgte dafür, dass mir schlecht wurde. Und jetzt?
Sais stimme holte mich wieder etwas zurück. Unsicher drehte ich die Ohren hin und her. "Tut mir leid", brachte ich heraus. Mehr konnte und wusste ich nicht sagen. Ich wollte natürlich nicht, dass sich mein Rudel sorgte. Ich sollte der einzige sein, der sich Sorgen um mich machen musste.
Hilflos nickte ich. Sie hat recht. Vielleicht wussten Dawn und Sai, wie ich mich wieder erinnern konnte. Allerdings löste diese Möglichkeit ein ungutes Gefühl in mir aus. Ich spürte wie die Angst in mir hochkroch, während ich mich auf Talia zu bewegte um mit ihr zusammen zum Rudelplatz zu gehen. Angst, mich zu erinnern. Was habe ich nur getan? Es war nichts Gutes. Da war ich mir sicher.
"Das ergibt alles keinen Sinn", murmelte ich zu mir. "Ich weiß nicht, was passiert ist", erklärte ich Talia dann. Mein Blick fiel auf den Hasen, den sie mir von der Ebene nachgebracht hatte. "Ich kann mich nicht einmal daran erinnern gejagt zu haben."
"Wie lange war ich fort?", fragte ich und begann weiter mein Fell von dem Blut zu befreien. Ich brauchte mehr Abhaltspunkte. Der Geruch des Blutes war mir unbekannt. Irgendwie schien ich in einem Kampf verwickelt gewesen zu sein. Aber Verletzungen konnte ich keine feststellen. Grübelnd wusch ich mich weiter.
Als ich Talias Stimme hörte zuckte ich erschrocken zusammen und drehte mich blitzartig zu ihr. Meine Muskeln verkrampften mich. Als mir bewusst wurde, wer da auf mich zukam, versuchte ich mich wieder zu entspannen. "Es geht mir gut", sagte ich schnell und sah wieder auf das Eis vor mir. "Glaube ich", fügte ich leise hinzu. Ich wollte mein Rudel nicht damit belasten. Es machte mir Angst und ich wollte nicht, dass sie sich im Rudel ausbreiteten. Außerdem fühlte ich Schuld. Ich war mir inzwischen sicher. Ich hatte etwas Schlimmes getan.
Zu meinem Entsetzen war der ganze See zugefroren. Ich stöhnte verzweifelt auf. Mist. Ich kann so nicht zurück zum Rudelplatz! Wie sollte ich mich jetzt waschen? Das Blut roch unangenehm stechend und ich fühlte mich furchtbar. Ich lief zum Ufer und betrachtete das Eis vor mir. Vielleicht konnte ich es brechen. Ich stülpte mich auf und ließ mich mit aller Kraft nach vorne auf das Eis fallen. Ich hörte das Eis unter meinen Vorderpfoten knacken. Noch einmal! Das Knacken wurde lauter. Beim dritten Mal brach das Eis und Wasser umspülte meine Pfoten. Ein Glück! Ich begann mit dem vorhandenen Wasser so gut es ging mit der Schnauze das Blut aus meinem Fell zu schrubben. Was war nur vorgefallen?
Etwas unsicher und verwirrt kam ich zu mir. Ich stand auf einer kleinen Erhöhung mit Blick über die Ebene. Wie bin ich hierher gekommen? Der Geruch von Blut stieg mir in die Nase. Als ich mich umsah, entdeckte ich einen toten Hasen im Schnee. Habe ich gejagt? Ich schnupperte an dem toten Tier. Ja, riecht nach mir. Meine Muskeln fühlten sich seltsam steif an, als ich mich zu meiner Beute hinbewegt hatte. Misstrauisch sah ich mich um. Es war niemand sonst hier. Probehalber drehte ich mich einmal im Kreis. Meine Muskeln schmerzten als wäre ich tagelang durchgerannt. Warum war mein Fell so klebrig? Ich schnupperte vorsichtig an meiner Seite. Blut! Ich bekam eine Gänsehaut. Es war nicht das Blut eines Hasen. Es war Wolfsblut. Der Schrecken durchfuhr mich. Was ist passiert? Was habe ich getan? Warum erinnere ich mich nicht? Panisch drehte ich mich um, ließ den Hasen liegen und jagte davon. Ich wollte so schnell ich konnte nach Hause.
Als meine Beute sich nicht mehr bewegte und keine Laute mehr von sich gab, verlor ich das Interesse. Ich schleuderte die Wölfin zur Seite und begann in irgendeine Richtung zu laufen. Vielleicht würde mir bald das nächste Opfer über den Weg laufen. Noch immer schien der rote Mond über mir, während ich mich von dem Ort entfernte. Schon wieder vergessen hatte, was gerade passiert war.
Die Fähe fiel zu Boden und mit einem weiteren Satz war ich über ihr. Sofort hatte ich mich in ihrem Nackenfell verbissen und riss und schüttelte an meiner Beute. Immer wieder biss ich auf die Fähe ein. Ich schmeckte das Blut zwischen meinen Fangzähnen und hörte den viel zu schnellen Herzschlag der Wölfin unter mir. Sie schluchzte und weinte, doch für mich waren das nur noch Geräusche, die ich nicht zuordnen konnte.
Die Beute sprach, doch ich nahm die Worte nicht wahr. Meine Rute war hoch erhoben und mein Nackenfell aufgestellt. Langsam setzte ich eine Pfote vor die andere und ging knurrend auf die Fähe zu. Schließlich wurden meine Schritte schneller und mein Knurren lauter. Mit einem Satz sprang ich auf die Wölfin zu, um sie zu Boden zu reißen.
Während mein Körper mich weiter zog, bemerkte ich wie sich mein Sichtfeld verändert hatte. Es war in die Breite gezogen und ich suchte nach Leben. Ein Geräusch ließ mich die Richtung ändern. Da war jemand. Eine Fähe. Ich konnte sie riechen. Ich hörte ihr Geschniefe. Ich bleckte die Zähne und lief schneller. Ich brach aus dem Dickicht heraus und da sah ich sie. Knurrend starrte ich meine Beute an.
Ich war voraus gelaufen und hatte Rebell zugehört. Als er geendet hatte, waren viele Gedanken durch meinen Kopf geschossen. Wer ist dieser Rüde und was wollte er? Ging es ihm nur darum zu morden oder hatte Nalu nicht die ganze Wahrheit erzählt? Warum war der Rüde geflohen? Meine Gedanken wirbelten immer mehr im Kreis herum, während die Sonne unterging und der Mond langsam die Dunkelheit in blutrotes Licht tauchte. Irgendwann schien es mir, als konnte ich nichts mehr wahrnehmen. Alles war anders. Wie von selbst schlugen meine Beine eine Richtung ein, noch bevor ich überhaupt den Rudelplatz erreicht hatte. Es schien niemand mehr in meiner Nähe zu sein. Allerdings wüsste ich auch nicht, wer überhaupt in meiner Nähe hätte sein sollen. Ich wusste auch nicht, wer ich war. Ich wusste nur eins. Meine Zähne sehnten sich danach etwas zu zerreißen.
Besorgt drehte ich die Ohren nach hinten. "Dann lasst uns erst nach der Fähe sehen", sagte ich in die Runde. "Rebell, erzähl mir unterwegs bitte alles, woran du sich erinnern kannst." Vielleicht kannte ich den Rüden. Vielleicht gab es etwas, was wir übersahen oder der Rüde war schlichtweg übergeschnappt. Ich warf einen letzten Blick auf die beiden Gräber. Eine gute Jagd euch beiden, wünschte ich ihnen. Ab jetzt würde Luna für sie sorgen. Ich konnte es noch immer nicht richtig realisieren. Naila sollte tot sein... Meine einzige Tochter. Ehe ich mich weiter reinsteigerte, drehte ich mich um und lief voraus, wobei ich mich versicherte, dass Rebell und die anderen mir folgen würden.
Das Heulen wuchs immer mehr. Ich war dankbar für die ganzen Stimmen. Das war der Halt, den ein Rudel einem geben konnte. Als ich Rebells Stimme neben mir hören konnte, war ich erleichterg, dass er es noch geschafft hatte. Als immef mehr Stimmen verstummten, nahm ich ebenfalls den Kopf runter, um zu meinem Sohn zu sehen. Doch der Anblick erschreckte mich. Sein Fell war zerzaust und er roch nach Blut. Ein Kampf!"Rebell, was ist passiert?", fragte ich alarmiert. Schatten? Zigeuner? Was ist vorgefallen?