Ich holte ein letztes Mal tief Luft. Kein Zurück!"Nach dem Nebel bin ich durch die Gebiete gestreunt, um nach meinem Rudel zu sehen und dabei habe ich eine schlimme Entdeckung gemacht", erzählte ich und wurde immer leiser bis ich schließlich ganz verstummte. Dann riss ich mich wieder zusammen. "Ich habe Naila tot aufgefunden. Sie muss in der Felsenschlucht abgerutscht sein. Es tut mir leid." Ich senkte den Kopf und klemmte die Rute zwischen die Hinterbeine, während ich auf Mareks Reaktion wartete.
~Wenn du fällst, wieder aufstehen und angreifen, niemals deine Angst zeigen~
Ich konnte nicht fassen, was ich hörte. Naila... Fassungslos sah ich die kleine Wölfin vor mir an. Ihr war sichtlich unwohl mir davon zu erzählen. Ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte. Ich wusste nicht, wie ich reagieren konnte. Eine Weile starrte ich einfach nur auf den Boden zwischen Lyvianne und mir, während die Gefühle in mir sich legten und ruhig wurden. So ruhig, dass ich nichts mehr fühlte.
"Unmöglich", brachte ich leise heraus. Naila war immer schon überall rumgesprungen. Nun sah man, wohin es sie gebracht hatte. Wut machte sich in mir breit. Ich war wütend auf meine Schwester, weil sie immer fort gewesen war. Nie war sie hier gewesen. Immer woanders! Ich knurrte wütend auf und drehte den Kopf zur Seite. So viele Gedanken wirbelten in meinem Kopf herum. So vieles, was ich gerne ausgesprochen hätte, doch kein Gedanke war greifbar und nichts von dem, was ich gesagt hätte, hätte einen Sinn ergeben. Ich sah zu Papa, der schweigend dastand wie eine Statue. Sein Blick war leer und der Wut, die in mir brodelte, folgte Sorge. "Marek?"
Endlich schaffte Lyvianne es die schlechte Nachricht zu überbringen. Die Reaktionen der beiden Rüden vor uns waren sehr unterschiedlich und nicht eben das was ich erwartet hatte. Rebell schien zwar wütend zu sein, doch nicht auf uns, wie mir schien, und Marek... Marek reagierte gar nicht, sondern starrte nur leer vor sich hin. Ich schwieg weiterhin und beobachtete nur was geschah, denn was hätte ich schon sagen können? Beide Rüden mussten mit ihrer Trauer erst einmal zurecht kommen und vielleicht auch erst richtig realisieren was passiert war, das war mehr als nur verständlich. ich hatte meine Ohren aufmerksam auf die beiden Silberwölfe gerichtet und stand schräg hinter Lyvianne, meine Körperhaltung wachsam aber nicht drohend.
Als ich mit Marek und Rebell eintraf, verhielt ich mich die ganze Zeit über ruhig, hörte gespannt zu und blieb wachsam. Ich dachte es wäre diesmal sinnvoller nur Marek sprechen zu lassen. Schließlich musste es ja auch so kommen, dass die Schattenwölfe und Zigeunerwölfe wieder mit irgendwem wegen einem noch so kleinen Fellfussel Ärger anfangen. Doch eins verhallte mir von früher im Gedächtnis nach, die Geschichten die Basta und Marek mir erzählten und für mich stand fest, dass wenn nötig das Silberrudel in einen Krieg eingreifen könnte und würde, als Schild der den Frieden wahrt und das Tal in Einklang hält. Auch wenn mir bewusst war, dass wir dazu im Notfall hart durchgreifen müssten.
Die Wortwahl der anderen beim Treffen überraschte mich wenig. Als das Treffen vorüber war, war ich eigentlich ganz froh sodass wir uns wieder unseren Tätigkeiten im Lager widmen konnten, doch dies sollte nicht so lange anhalten als wir die Nachricht von Lyv hörten.
Ich wusste nur zu gut was es hieß einen Teil seiner Familie zu verlieren, wenn nicht sogar die ganze. Ich kannte sie nur als aufgeweckte, frohe Wölfin und legte, mit der Hoffnung leicht tröstend oder stärkend zu sein, meine Pfote auf Mareks Schulter. "Es tut mir leid Marek. Trauer zeugt nicht von Schwäche, sie verbindet. Sie wandert nun mit den anderen hoch oben beim Nachtlicht." sprach ich ruhig zu ihm.
>>Selbst wenn Hoffnung schwindet, darf man sie nie ganz aufgeben, dann findet sie zurück.<<
Wenn ich auch ruhelos im Kreis gerannt war, nachdem ich einen Moment inne gehalten hatte um zu Marek, dem ersten ankommenden Alpha, zuzugrinsen, so hatte ich doch jedes oben gesprochene Wort gehört. Huttser war nun also Alpha und die Schattenwölfe waren entsprechend angepisst, sonst gab es nicht viel zu besprechen und das Treffen endete schnell. Allerdings hatte Lyvianne noch Marek eine schlechte Nachricht mitzuteilen, die beinhaltete, dass seine Tochter in der Felsenschlucht abgestürzt war. Der Nebel hat einige Leben gekostet, huh? Allerdings. Von den Bergwölfen her hörte man ein Heulen, welches deutlich danach klang, als hätten sie wieder einen Verlust zu beklagen. Und das Sterben geht weiter. Jetzt wirst du aber dramatisch. Ist doch wahr. Ich hatte mich mittlerweile hingesetzt und sah mit meinem üblichen Grinsen zum wolkigen Himmel auf.
Unsicher sah ich Marek an. Er hatte noch nichts gesagt. Rebell schien ebenfalls fassungslos zu sein und Tayro sagte ein paar tröstende Worte. "Wir wussten nicht, was wir mit ihrem Körper machen sollen", fuhr ich vorsichtig fort. "Natürlich sind wir bereit, sie zu euch zu bringen." Ich fühlte mich unwohl. Ganz unbedingt wollte ich von hier weg, zumal ich ein Heulen von unserem Rudelplatz hörte, das mich erschrocken zusammen zucken ließ. Schnell sah ich Tril an, um zu sehen, ob er vielleicht irgendwie wusste, worum es ging. Oder besser gesagt um wen. Denn es klang nach einem weiteren Todesfall, was ich dennoch erstmal nicht hoffen wollte.
~Wenn du fällst, wieder aufstehen und angreifen, niemals deine Angst zeigen~
Ich sah Lyv an, als sie weiter sprach. Für Tays Worte war ich dankbar, doch so schnell würde ich den Tod meiner Tochter nicht abtun können. Sagen konnte ich allerdings immer noch nichts dazu. Erst als ich das Heulen aus den Bergen hörte, kehrte wieder Bewegung und Mimik zu mir zurück. Lyvs Reaktion nach galt das Heulen nicht Naila und ich hoffte für sie, dass niemand sonst gestorben war. Ich räusperte mich kurz. In meinem Hals steckte ein riesiger Kloß und ich hatte Angst ihn runter zu schlucken, weil ich das Gefühl hatte, dass ich ihn dann auskotzen müsste. Sicher wollte Lyv nun zu ihrem Rudel und sehen, was los war. Ich öffnete das Maul und versuchte etwas zu sagen. "Danke für die Information." Meine Stimme klang belegt. Ich musste hier weg. Ich konnte keinen klaren Gedanken fassen. Ohne ein weiteres Wort wandte ich mich um und begann los zu laufen. Erst langsam bis ich von selbst immer schneller wurde und schließlich durch den Wald jagte. Wohin wusste ich nicht.
Tays Worte waren schön, doch ob mein Vater sie wahrnahm, wusste ich nicht sicher. Er verhielt sich nicht wie er selbst und als er davon stürmte, war meine Wut auf Naila verschwunden. "MAREK!", rief ich ihm nach. Entweder wollte er mich nicht hören oder er tat es wirklich nicht. Dass er nicht reagierte, hatte ich mir allerdings schon fast gedacht. Ich wandte mich an Lyv, die bei dem Heulen aus den Bergen kurz zusammengezuckt war. "Wir wollen euch keine weiteren Unannehmlichkeiten bereiten. Wir werden selbst zu Felsenschlucht gehen und Naila holen, um sie bei uns zu beerdigen." Auch wenn ich kurz mit dem Gedanken spielte, Naila bei den Bergwölfen zu lassen. Die meiste Zeit ihres Lebens hatte sie sowieso dort verbracht und sie war immer gerne dort gewesen. Doch ich entschied mich um wegen Mama. Es war sicher schöner, wenn wir ihr Grab im Sonnental hätten. Plötzlich fiel mir auf, dass ich zu bestimmt geredet hatte. "Also, natürlich nur, wenn ihr erlaubt, dass wir euer Gebiet betreten dürfen." Es war zwar klar, dass wir bei den Bergwölfen aus Gründen in die Reviere durften, doch ich wollte meinen dominanten Tonfall abschwächen. Schließlich sprach ich immer noch mit einer Alpha. Ich warf Tay einen kurzen fragenden Blick zu. Hilfst du mir sie zurück nach Hause zu bringen? Ich fragte nicht laut und hoffte, er verstand, was ich meinte. Marek brauchte offensichtlich noch etwas Zeit für sich.
Als Marek davon stürmte, musste ich kurz mehrfach nicken. "Wir sollten Marek etwas Zeit lassen." sprach ich ruhig an Rebell gewand, bevor ich ihm nur knapp bestätigend auf seinen fragenden Blick antwortete und mich an Lyv wendete. "Wenn du gestattest, würde ich mich entweder alleine oder mit Rebell zu der Stelle begeben und Naila im Sonnental niederlassen. Wenn ihr sie besuchen wollt, gebt uns einfach kurz Bescheid. Ich denke dann sollte dies kein Problem sein." schlug ich dabei gleichzeitig respektvoll vor und erhob mich, auch wenn meine Tonlage von leichter Trauer begleitet wurde. Der Ruf den wir hier vernehmen konnten schien Lyv zu beunruhigen und ich wollte sie nicht länger hier festhalten als unbedingt nötig. Auch Rebell und ich müssten relativ schnell los und dann zurück zum Lager. Solange Marek seine Trauer durchs jagen verarbeitet, sollten wir das Rudel zusammen halten und das Grab vorbereiten.
>>Selbst wenn Hoffnung schwindet, darf man sie nie ganz aufgeben, dann findet sie zurück.<<
Marek rannte mit einem gepressten Dank fort. Ich sah ihm mitleidig nach, ich hatte zwar keine Welpen, die ich hätte verlieren können, doch ich hatte genug Tode von nahen Wölfen erlebt um zu wissen, dass es hart für ihn sein würde seine Trauer zu besiegen. Wenn er es überhaupt schafft. Ich wusste nur zu gut was schwere Schläge mit dem Geist eines Wolfes anstellen konnten und ich wünschte das wirklich niemandem. Ich muss bald zurück zu Rolf. Als hätte die Welt meine Gedanken gelesen hörte ich ein Heulen aus den Bergen, von unserem Rudelplatz, Trauer war darin zu hören, was mich sofort in Alarmbereitschaft versetzte. Ich fing Lyviannes Blick auf und schüttelte als Antwort den Kopf, nein, ich wusste nicht was passiert war, doch ich wollte es schnell herausfinden. Scheiße, mach, dass es allen gut geht. Allerdings war zunächst noch zu klären was mit Nailas Körper passieren sollte. Rebell und Tayro wollten sie holen und ich bezweifelte, dass meine Alpha etwas dagegen haben würde, noch weniger nach dem netten Angebot, dass wir ihr Grab besuchen durften, was ich nur zu gerne machen wollte, doch das letzte Wort hatte natürlich Lyvianne. Und dann können wir hoffentlich endlich gehen.
Danke für die Information? Erstarrt sah ich Marek an. Gerne wäre ich ihm hinterher gerannt. Er tat mir unendlich leid. Ich wusste, was es bedeutete seine Familie zu verlieren und außer Rebell hatte Marek alle verloren, die ihm Nahe standen. Als Rebell mich ansprach, nickte ich und schluckte kurz. Als Tayro ebenfalls sprach, senkte ich respektvoll den Kopf. "Natürlich. Fühlt euch frei und lasst euch Zeit." Ich hob den Kopf wieder und sah die beiden Rüden vor mir an. "Entschuldigt, bitte, aber ich muss nach meinem Rudel sehen." Aus Trils Blick hatte ich lesen können, dass er ebenfalls nicht wusste, was los war. Ich nickte beiden zum Abschied zu und wandte mich dann auffordernd zu Tril und Azzuan. "Schnell. Lasst uns sehen, was passiert ist." Sorge kroch in mir hoch und sie wuchs mit jeder Sekunde. So schnell mich meine Beine trugen, rannte ich zurück zum Rudelplatz und hoffte die beiden Rüden würden mir nicht böse sein, dass ich voraus lief.
>> Rudelplatz der Bergwölfe
~Wenn du fällst, wieder aufstehen und angreifen, niemals deine Angst zeigen~
Ich wartete nicht auf Dashs und Billys Antwort. Ich wollte nach Hause. Ohne zu zögern lief ich weiter und schlug den Weg nach Hause ein. Es waren zu viele Gefühle in mir. Ich hasse es...
Ich nickte Tayro zu. "Genau, das habe ich auch gedacht", sagte ich. Lyv verabschiedete sich und erlaubte uns Naila aus der Felsenschlucht zu holen. Wie sie senkte ich respektvoll den Kopf. "Danke." Als sie sich abwandte, vernahm ich ein weiteres Heulen. Ebenfalls von trauriger Natur. Dieses Mal aus unserem Revier. Ich warf Tayro einen Blick zu. "Ich glaube, Nava ist tot", sagte ich mit trockenem Maul. So viele Tote... "Bevor ich zurückgehe, möchte ich Naila holen. Ich ertrage den Gedanken nicht, dass sie weiter in dieser Schlucht liegt", sagte ich und sah Tay an. "Willst du mitkommen oder soll ich alleine gehen? Mir ist es egal."
Ich stupste @Morgana an. "Das hast du gut gesagt", sagte ich und leckte ihr über den Hals. "Lass uns zum Rudelplatz zurückgehen und unterwegs was Jagen. Ich sterbe vor Hunger."Dieser Kindergarten wird niemals rum sein. Die ganzen Streitereien konnte ich gar nicht mehr ernst nehmen. Es war zu viel. Zumindest hatten die Schattenwölfe uns nun nicht mehr auf dem Kieker.
Wolfsrudel - Das Leben der fünf Rudel
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07.10.2022 14:54
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