Ich hechelte schwer als ich endlich, endlich den Gipfel erreicht hatte, mein Körper war lange nicht mehr so trainiert wie er es einst gewesen war, mein Fell war das einzige was ihm noch den Anschein von etwas Fülle gab, darunter lagen schon lange nur noch Haut und Knochen. Mein Gesichtsausdruck war vollkommen neutral und in meinem Kopf herrschte eine beinahe geisterhafte Stille, weder die Stimmen noch etwaige Gefühle meinerseits regten sich in mir. Es zog mich runter, doch es war auch eine willkommene Abwechslung, wenn ich ehrlich war. Sill setzte ich mich an den Rand des Gipfels und ließ den Blick von einem zum anderen streifen, an Mayestril, meinem Gefährten, blieb er am längsten hängen. trotz auch seines langsam voranschreitenden Alters war er immer noch breit und kräftig und strahlte Ruhe und Zuversicht aus, wie er es schon getan hatte, als wir uns als Jungwölfe zum ersten Mal begegnet waren. Manche Dinge änderten sich wenigstens nie.
Ich war eine sehr lange Weile einfach nur unbewegt auf meinem Felsvorsprung gelegen und hatte nichts um mich herum wahrgenommen, es war als hätte sich Watte auf meine Gehörgänge gelegt, ich nahm nichts als ein weißes Rauschen wahr. Die zeit verging, ich wusste nicht wie viel und ehrlicherweise war es mir in diesem Moment auch völlig egal. Irgendwann, ohne speziellen Anlass, kam ich schließlich wieder zurück und konnte hören was passierte, selbst wenn ich mich nach wie vor nicht rührte. Akela war verstorben, ein weiteres Opfer des Nebels. Als sich einer nach dem anderen aufmachte um sie in ihre letzte Ruhestätte zu betten ging endlich wieder etwas Bewegung durch meinen dürren Körper. Ich stand auf und ging in kleinen, vorsichtigen Schritten den anderen hinterher.
Es tat mir leid meinen Gefährten dort oben einfach stehen gelassen zu haben, doch dieses schlechte Gewissen reihte sich nur mit all den anderen ein, die sich schon in mir aufstauten. Ich hatte es nicht in mir bis zur Schlafhöhle von Mayestril und mir zu gehen, stattdessen kletterte ich auf eine kleine Erhöhung, auf der ich schon so viele Male gelegen hatte, und ließ mich dort kraftlos zur Seite fallen. Die Beine von mir gestreckt legte ich den Kopf auf den Boden und starrte endlich nur noch die Wand an.
Schließlich löste Lyvianne sich wieder von Azzuan und machte ein lautes Versprechen an die Toten, dass sie sie nie wieder vergessen würde. Ich stand auch für mich selbst sehr plötzlich auf und ging leise und langsam davon. Ich war erschöpft, aber ich hatte das Gefühl es hier oben nicht mehr aushalten zu können. Meine eigenen Schuldgefühle und dazu noch Lyviannes Leid drückte zu schwer auf mich, es fühlte sich an als würde ich gleich ersticken. (Rudelplatz)
Lyvianne warf sich an Azzuan, der begann die weinende Fähe zu beruhigen. Ich schloss müde die Augen und lehnte mein ganzes, nicht besonders großes, Gewicht an Mayestrils Seite. Ich gestattete mir nicht über Lyvianne zu urteilen, nicht über ihre Reaktion, nicht darüber, dass sie einen großen Teil der Wölfe vergessen hatte, die hier begraben lagen. Es stand mir nicht zu zu urteilen. Es stand mir niemals zu.
Ich drückt meinen Kopf gegen Mayestril, während ich mit nur leicht in meinen Augen sichtbaren Misstrauen, das war an meinem leisen Knurren wesentlich deutlicher zu bemerken, Azzuan beobachtete, der sich der schweigenden Lyvianne näherte.
Ich hielt am Ende der Gräberreihe an und atmete müde aus, alle Energie verließ wieder meinen Körper, gerade noch genug blieb zurück um leise zu Knurren, als ein weißer Rüde, den ich als Azzuan erkannte, zu uns auf den Gipfel gesellte. Er gehörte nun zum Rudel, aber ich kannte ihn nicht, ich kannte nur seinen Namen und wusste, dass Lyvianne ihn mochte. Ich trottete mit langsamen Schritten zu Mayestril zurück, als Lyvianne nichts mehr sagte, sondern nur noch fertiger aussah. Tut... tut mir leid.
Ich sah von einem Grab auf, das ich gerade etwas richtete, ich schob die Steine darauf zurecht, als Lyvianne meinen und Mayestrils Namen sagte. Sie wirkte regelrecht verzweifelt und bald klärte sich auch wieso. Sie konnte sich nicht mehr erinnern wer hier aller begraben lag. Ich senkte den Kopf wieder, erschöpft und traurig, aber nicht unbedingt wegen Lyvianne selbst. Ich hätte mich besser um die Gräber kümmern sollen, hätte dafür sorgen sollen, dass man sich der Toten hier erinnerte, oder? Wozu sonst war ich überhaupt noch da, wenn nicht dafür. Ich sagte zuerst kein Wort, stand nur langsam auf und ging zu Kiras Grab hinüber, dem ersten hier oben. Kira. Ich ging weiter, als nächstes war Mizu hier begraben worden. Mizu. Soweit hatte Lyvianne es auch noch gewusst, nun kamen die anderen. Ich ging zum nächsten Grab, es wunderte mich, dass Lyvianne sich nicht mehr daran erinnerte. Imiak. Das nächste war das Grab einer Fähe die noch vor mir zum Rudel gekommen, doch dann ermordet worden war. Tenebris. Zwei leere Gräber und ein gefülltes waren die nächsten, ich ging langsam an den dreien vorbei, eine schreckliche Tragödie umgab auch diese Gräber. Nieke und die leeren Gräber ihrer verstorbenen Welpen. Das nächste war ein kleineres Grab, es schien niemand je zu besuchen. Alexia. Es folgte ein noch viel kleineres Grab, für einen sehr kleinen Wolf, zurückgelassen von seiner Mutter. Laylats namenloser Welpe. Das nächste und vorletzte Grab war das einer Fähe die schwanger gestorben war. Svoboda. Und dann das letzte war wieder eines, welches Lyvianne noch gewusst hatte, das frischeste der Reihe. Kiran. leicht war meine Stimme schneller geworden, mit jedem Grab, an dem ich vorbeigeschritten war, all diese Namen taten mir weh, als wäre ich persönlich für ihren Tod verantwortlich zu machen und entsprechend schmerzerfüllt sprach ich sie auch aus, leichtes Gefühl in meiner doch sonst eher neutralen Stimme.
Mayestril hatte offenbar auch seinen Spaß, was mich durchaus auch freute, selbst wenn ich es nicht stark wahrnahm, denn immerhin bedeutete das, dass es meinem Gefährten gut ging, er hatte es verdient glücklich zu sein. Jung waren wir beiden wahrlich nicht mehr, wenn ich richtig zählte waren wir beide nun schon so um die zehn Jahre alt, auch wenn man das Mayestril wirklich kaum ansah wie ich fand, er war immer noch stattlich, groß und muskulös. Lyvianne sah die Gräber an und ich ging sie langsam der Reihe nach ab. Sie waren in besserem Zustand als erwartet, etwas waren die Steine verrutscht, die sie markierten und die Blumen waren natürlich schon lange verblüht, es wurde ja auch Winter, aber sonst war ich erleichtert über ihren Zustand, der schlimmer hätte sein können.
Hauptsache Lyvianne hatte ihren Spaß. So energiegeladen wie sie war ich schon sehr, sehr lange nicht mehr gewesen, ich hatte es einfach nicht mehr in mir zu laufen, jedenfalls die meiste Zeit nicht, beim Jagen ging es noch, aber sonst hatte ich einfach keine Kraft dazu. Ich stieg den Berg also in kurzen, langsamen Sprüngen hinan und kam erst weit hinter Lyvianne oben an.
Nach und nach legten sich meine Ohren immer mehr und mehr an, es kamen immer mehr Wölfe auf den Rudelplatz und ich kannte einige von ihnen nicht. Lyvianne kehrte zurück und Mayestril gab ihr wegen unseres Besuchs Bescheid, der nun schon eine ganze Weile hier auf sie gewartet hatte. Damit saß ich allerdings auch unter anderem alleine Talia gegenüber. Ein dumpfes Knurren suchte sich den Weg aus meiner Brust und mein Nackenfell stellte sich langsam auf. Ich fühlte mich überfordert, es hingen zu viele unbekannte oder nur schlecht bekannte Gerüche in der Luft, ich versuchte alles im Blick zu behalten, aber das war bei so vielen Wölfen recht schwierig, auch das machte mich nervös und unrund.
Unentschieden war wohl nicht nur ich, auch Talia und Naila schienen nicht wirklich fähig zu einer raschen Entscheidung. Aber wer war ich zu urteilen? Oh bitte... du kannst ja auch nie was entscheiden... Und wenn du es tust ist es die falsche Entscheidung... Im Grunde kannst du ja sowieso gar nichts... Versuch es also nicht mal... Halt schön die Klappe und lass die anderen reden... Und sowas nennt sich einen Soldaten... Kein Wunder das sie dich verstoßen haben... Ich setzte mich langsam hin, das stehen war anstrengend, am liebsten wollte ich mich wieder hinlegen und nicht mehr aufstehen.
Die fremde Fähe machte mich immer noch nervös, aber wenigstens wurde es dann stiller um uns herum, da Odhran wieder zum Gipfel hoch lief. Naila überlegte gerade ob sie noch bleiben sollte oder nicht und ich fragte mich wo wohl Casanova und Lyvianne waren, zur meisten Zeit war mindestens einer von ihnen wenigstens in der nähe.
Tailia, so stellte sich die zweite Fähe vor, war herumgerannt als hätte sie Hummeln im Hintern, was mich doch hin und wieder zu einem leichten Knurren verleitet hatte, denn schon die Tatsache, dass sie eine Fremde war machte mich nervös, aber ihr herumgerenne machte das ganze nur noch schlimmer. Während Naila ihr erklärte was sie verpasst hatte kam Odhran mit einem rehbock herein, den er für das Rudel erjagt hatte, welchen Mayestril auch gleich den beiden Fähen vor uns anbot. Ich sagte nichts, nickte nur leicht auf seine Worte zuvor an mich hin, und beobachtete nun wieder stumm das Geschehen, die Ohren stehts leicht angelegt.
Ich atmete langsam ein und wieder aus und nickte dann, Naila und Mayestril ließen mich beide wissen, dass sonst alles in Ordnung war und nichts schlimmeres als einige verpasste Wochen passiert waren, etwas was ich ohnehin immer wieder erlebte, wenn die Zeit einfach ungesehen an mir vorbei strich. Das... das könnte Sinn ergeben. Menschen hatten ja immer ihre seltsamen Sachen die sie benutzten, auch gegen uns, wir hatten noch einmal Glück gehabt.
Unruhig zuckte mein Blick zwischen den Anwesenden hin und her und ich machte einen halben Schritt zurück. Wie hatte ich den Nebel nicht bemerkt? Ich hatte doch eine gute Nase. Warum war mir nichts aufgefallen? Schliefen bei uns noch Wölfe? Lebten alle noch? Mayestril wusste allerdings zum Glück meistens was er tun musste um mich zu beruhigen, wie es auch meine Schwester damals gewusst hatte. Ich schloss einen Moment die Augen und konzentrierte mich auf das Gefühl von mayestrils großer Schnauze auf meinem schmalen Kopf, ehe ich leicht nickte. In Ordnung. Ich sah wieder Naila an und versuchte mich auf etwas anderes als meine sich um sich selbst drehenden gedanken zu konzentrieren. Sind bei euch sonst alle wohlauf? Bis... bis auf diejenigen die noch nicht aufgewacht sind?
Ich runzelte bei Nailas Worten leicht aber umso verwirrter die Stirn, denn ich verstand den Inhalt ihrer Worte nicht. Wie...wieso aufgewacht und welcher Nebel? Offenbar hatte ich irgendetwas gravierendes verpasst während ich geschlafen hatte, meine Ohren drückten sich an meinen Hinterkopf.
Ich lehnte mich leicht an Mayestril, schwach schwang meine Rute, ehe sie wieder zum Stillstand kam.Es geht mir gut.Oh toll... ein ganzer Satz ohne zu stottern...Wie... wie geht es dir?Uuund schon ist es wieder vorbei... natürlich...
Ich erwachte nur langsam, meine Augen öffneten sich erst nach einer ganzen weile, während ich bereits begann meinen Körper zu spüren, von der Brust ging es in die Beine und in die Rute und dann erst in den Kopf. Mich blendete das gedämpfte Licht im ersten Moment, doch schließlich gewöhnte ich mich wieder daran. Ich schlug die Augen auf und sah mich um. Ich lag in Mayestrils und meiner Schlafhöhle, auf dem alten Bärenfell, welches wir dort ausgelegt hatte. Ganz leicht konnte ich in der Luft den Geruch von Blut wahrnehmen, doch er war nicht mehr sehr streng, dann waren da andere Bergwölfe, Mayestril und... Silberrudel. Ich war mit einem Ruck auf den Pfoten, kippte dadurch aber zur Seite, da mein Kreislauf noch nicht wirklich hochgefahren war. Ich rappelte mich wieder auf und sah nach draußen, am Eingang zur Haupthöhle sah ich Mayestril stehen, bei ihm waren zwei Silberwölfe, die eine Fähe kannte ich nicht, doch im Geruch der anderen erkannte ich nun Naila. Ich zögerte, doch da ich wirklich gerne zu meinem Gefährten wollte, setzte ich mich in Bewegung und schlich förmlich an die Seite meines Partners. Ich musterte die fremde Fähe mistrauisch, Naila aber aufmerksam. Sie sah gut aus, gesund, das Silberrudel schien ihr gut zu tun. Hallo Naila. Meine Stimme war leise und klang noch etwas rau durch den langen Schlaf, den ich genossen hatte, auch wenn ich mir nicht sicher war wie lange er gewesen war. Ich musste in der Rauschhöhle eingeschlafen sein und Mayestril hatte mich wohl zurück Nachhause getragen.