Als Runa so schwach antwortete und dann noch zittrig vor mir stand, nahm ich schnell wieder Abstand von der Idee sie jetzt schon zusammenzustauchen. Noch immer sickerte Blut aus der Wunde. Alleine konnte ich ihr nicht helfen. Und wie viel Zeit wir hatten wusste ich auch nicht.
"Hast du ein Rudel?", fragte ich sie. Jetzt hatte sie keine Wahl, als dass ich sie irgendwo hinschleifte, wenn sie überleben wollte. Wenn sie ein Rudel hatte, gab es dort vermutlich auch einen Heiler. Das war zumindest mein Erfahrungswert.
Ich ging zu ihrer nicht-blutverschmierten Seite und versuchte sie etwas zu stützen, damit sie nicht umkippte. Ob sie es ein zweites Mal schaffen würde aufzustehen war fraglich.
Tatsächlich hatte ich schon viele Verletzungen davongetragen. Auch die ein oder andere gravierendere, doch von dem Menschen war ich noch nicht erwischt worden.

Zigeuner? Ich sah sie kurz verwirrt an. War sie ein Zigeuner? Hatte sie kein Rudel? Das würde die ganze Sache natürlich schwieriger gestalten. Obwohl ich mich schon länger in dieser Gegend aufhielt und bisher 5 Reviere hatte ausfindig machen können, wusste ich nicht viel mehr über sie.
Dann lehnte sich Runa an mich und wies in eine grobe Richtung. Immerhin konnte sie wohl noch klar genug denken, auch wenn sie langsam abzudriften schien. Was genau in dieser Richtung war, wusste ich noch immer nicht. Welches Rudel hieß schon "Zigeuner".
Langsam setzte ich mich in Bewegung und versuchte sie so gut wie möglich zu stützen. Natürlich hätte ich versuchen können irgendwelche provisorischen Wundversorgungsmaßnahmen zu treffen, doch ich war kein Experte und das würde vermutlich nur Zeit kosten. Zeit, die wir nicht hatten.
"Bleib wach," versuchte ich ihr zuzureden. Wenn sie ohnmächtig wurde, und ich sie auch noch tragen musste würde sie vermutlich verbluten.

Ich bekam keine Antwort, aber das nahm ich Runa auch nicht übel. Sie brauchte jetzt all ihre Konzentration. Obwohl sie eher schmächtig wirkte, war es nicht leicht ihr Gewicht zu stützen, während sie neben mir hertappste.
Ein paar mal verlor ich fast den Halt, als wir uns den Hügel hinunter und durch das Unterholz kämpften.
Immer wieder redete ich mir ihr, versuchte ihr eine Reaktion abzugewinnen.
"Du musst wach bleiben. Wenn ich dich tragen muss stirbst du."
"Wo lang?"
"Lauf weiter. Eine Pfote vor die andere."
"Runa!"

--> Rudelplatz der Zigeunerwölfe

Ich war einfach losgelaufen - ohne auf den Weg zu achten, als mir ein Geruch in die Nase stieß. Eine Fährte, die ich sofort erkannte und die Zuhause für mich bedeutete. Mehr denn je verband ich diesen Geruch mit Geborgenheit. Also folgte ich der schwachen Spur. Die Ereignisse hatten sich so überschlagen, dass ich gar nicht mitbekommen hatte, dass mein Bruder aus welchem Grund auch immer nicht mit uns zum Rudelplatz zurück ist. Das bedeutet aber auch, dass er noch gar nicht Bescheid wusste, dass Papa nicht mehr am Leben war. Es gefiel mir nicht, dass ich diese Botschaft überbringen musste, aber er musste Bescheid wissen.

Je stärker die Fährte roch, desto komischer wurde sie. Ich konnte einen Geruch wahrnehmen, der den von Zilas übertönte und doch war die Grundnote immer noch Zilas. Angewiedert rümpfte ich die Nase. Bruderherz, in was bitte hast du dich gewälzt?" dachte ich nur und beschleunigte meinen Schritt. Mein Herz klopfte wild in meiner Brust, während ich mich darauf freute meine Nase in das rote Fell meines Bruder zu stecken und für einen Moment meinen Kummer zu teilen.

Ich erblickte Zilas am Waldrand, doch erkannte sofort das etwas nicht stimmte. Der ekelhafte Geruch der Verwesung schlug mir wie eine Wand entgegen, während der Körper meines Bruders dalag, als würde er schlafen. Doch er bewegte sich nicht. Ich konnte sehen, dass seine Brust sich nicht bewegte. Panik stieg in mir auf. "Ziiiiilaaaas!" kreischte ich und stürmte auf meinen Bruder zu. Doch ich kam an ihn gar nicht ran. Ein Holzkäfig fiel auf mich herab.

@Runa

Ein Schatten lief geduckt an mir vorbei zur Leiche meines Bruders. "Nein! Geh da weg!" Panisch warf ich mich gegen die Gitterstäbe, prallte aber ab und blieb in der Mitte des Käfigs zusammengekauert liegen. Tränen liefen mir über die Schnauze, während ich leise vor mich hin schluchzte. "Fass ihn nicht an, fass ihn nicht an." Ich konnte es einfach nicht fassen, zuerst Papa und nun auch Zilas. Und auch wenn ein Teil meiner Familie noch da war, fühlte ich mich einsam und verlassen. Mit Zilas hatte mich in den letzten Monaten viel verbunden und wir waren zusammen unterwegs gewesen, sein Tod traf mich sogar noch stärker als der von Papa.
Es dauerte einen Moment, bis ich die Situation realisierte und als ich aufsah blickten gelbe Augen durch die Gitterstäbe auf mich herab. Mühsam rappelte ich mich auf. "Was?" Trotz klang aus meiner Stimme - die Wölfin war ein Mitglied des Rudels, das konnte ich riechen, auch wenn mir ihr Name in diesem Moment einfach nicht einfiel. "Ich komm alleine klar. Geh weg!"

Ich hatte mich bewusst weggedreht, doch die Wölfin ließ nicht locker. Sie umrundete den Käfig, in dem ich gefangen war und stellte mir eine Frage. Seufzend blickte ich die Gitterstäbe genauer an. Sie waren aus Holz, wirkten jedoch sehr stabil. "Nein, ich kann keine Schwachstelle erkennen." meinte ich und drehte mich einmal um die eigene Achse. "Aber ich könnte versuchen, an einem der Stäbe zu nagen." Etwas besseres fiel mir nicht ein, sodass ich meine Worte direkt in die Tat umsetze und sofort begann unten an einem der Stäbe zu nagen. Das Holz schmeckte eklig, nicht wie die Äste im Wald und hatten eine glatte Oberfläche, an der ich immer wieder abrutschte. Doch ich ließ nicht locker und setzte immer wieder neu an.

Ich wollte nur noch meine Ruhe haben und die würde ich wohl nur bekommen, wenn ich hier raus kam und die Wölfin loswerden würde. Meine ganze Trauer und Wut fokussierte ich auf diesen einen Holzstab, verbiss mich darin und ließ nicht locker, auch wenn ich immer wieder abrutschte. Auch die andere hatte sich dem Holzstab gewidmet, sodass wir zusammen gut durchkamen. Als der Stab gefühlt nur noch wie ein dünner Ast zwischen den anderen wirkte, trat ich beiseite. "Ich probier ihn mit meinem Gewicht kaputt zu bekommen." meinte ich zu ihr und begann mich mit meinem ganzen Gewicht dagegen zu werfen. Immer wieder schmiss ich mich mit der Schulter gegen das Holz, als ich endlich das Krachen hörte. "Es hat geklappt." flüsterte ich mit weit aufgerissenen Augen. Ich hätte das niemals gedacht.