Es tut mir leid, dass wir dich nicht schon früher gefunden haben. Wieder schleckte ich über Neros Kopf, als wäre er noch ein kleiner Welpe und nicht schon auf dem Weg zum erwachsenen Wolf. Nero war wieder da. Er lebte. Mehr konnte sich ein Vater nicht wünschen.
Was? Für was entschuldigte er sich da? Ich vergrub meine Schnauze tiefer in Papas Fell. Es tat so gut sich endlich sicher fühlen zu können. Ich gehe nie mehr soweit weg ohne Fenris oder jemand anderen murmelte ich in den dichten Winterpelz.
Wenn ich denke was hätte passieren können... Es schüttelte mich und prompt versuchte ich meinen Sohn noch mehr zu wärmen. Wir reden später darüber, okay? Jetzt bringen wir dich Nachhause, alle waren krank vor Sorge. Doch ich rührte mich auch nicht weg, zu beruhigend war das Gefühl des jüngeren Körpers neben mir, das spüren seines Atems und seines Pulses.
Ja. konnte ich nur antworten. Nach Hause klang wunderbar. Kurz überlegte ich mich sofort aufzustemmen, um den Heimweg anzutreten. Aber dafür war ich im Moment zu müde und erschöpft. Und endlich konnte ich das auch sein, denn mein Papa lag beschützend bei mir. Mit einem Seufzen ich mich in den Schlaf gleiten.
Aber erst später. Jetzt schlaf, mein kleiner Schneekönig. Ich schloss auch die Augen, blieb aber sonst wach um Nero und Merco zu beschützen. Kobalt und Fenris würden so froh sein ihren Bruder wieder zu haben. Und Breeze. Breeze die wieder einmal nicht auffindbar war. Würde sie so verschwinden wie Fria es getan hatte? Mein Herz schmerzte und so konzentrierte ich mich lieber auf das sanfte atmen meines Sohnes.
Wind zauste an meinem Fell und ich drückte mich enger an meinen Papa. Doch der Wind ließ nicht nach. Kälte drang bis zu meiner Haut durch, sodass ich zitternd die Augen aufschlug. Schlagartig hellwach. - und wünschte mich direkt in meine Traumwelt zurück: Wir lagen mitten in einem Schneesturm. So etwas hatte ich noch nie erlebt. Trotzdem weckte dies gleich wieder meinen Sinn für Abenteuer. Was würde ich Fenris nicht alles erzählen können, wenn sich Papa, Marco und ich jetzt heldenhaft durch den Sturm zurück ins Rudel kämpften. Wie mutige Krieger dem Wetter trotzend. Aufgeregt setzte ich mich auf meine wackeligen Beine und stubste Papa an. Aufstehen! drängte ich ihn und schnappte nach einem Ohr.
Der Sturm war stärker geworden, doch ich hatte Nero nicht wecken wollen. Als er nun aufstand drängte auch Marco zum Aufbruch. Komm Bossa, der Sturm wird immer stärker. Ich stemmte mich hoch und schüttelte mir eine dichte Schneedecke vom Rücken. Stütz dich bei mir ab wenns nicht mehr geht. Marco hoppelte unter mir, als ich mich langsam in Bewegung setzte.
Mach ich und hielt mich dich an ihm, da der Wind ungeahnt stark war und ich befürchtete meinen Papa in dem dichten Schneefall zu verlieren. Ich fühlte mich elendig kraftlos und der Sturm vervielfachte das nur. Bald lehnte ich mich an Papa und hoffte er würde uns sicher Heim bringen. Meine Abenteuerlust war so schnell verschwunden, wie sie gekommen war.
Das sollte also mein erster Winter sein: heimgesucht von einem Schneesturm. Nie hätte ich gedacht, dass Wind so stark und kalt sein könnte. Aber sicher war alles wieder ruhiger, sobald wir beim Rudel ankamen..
Ich prüfte ausgiebig die Witterung und verschaffte mir so einen Überblick. Ein Mensch, ein Jäger hatte gerade Beute gemacht. Der Mensch war allein und hatte auch keinen Hund dabei. Die Beute war ein Spießer, ein halbwüchsiger Rehbock. Der Mensch war ein älterer Rüde, der gerade laut schnaufend zu seiner Beute unterwegs war... Ich war schneller da, packte die Beute - und mopste sie. Mit hocherhobener Rute trug ich sie schnurstracks nach Hause.
Es dämmerte allmählich und mein Durst machte mir langsam zu schaffen. Ich kam an einer Lichtung ankam und setzte gerade unbedenklich eine Pfote auf die freie Wiese, als mir ein starker Geruch in die Nase drang. Menschen…! Duckend blickte ich um mich und hielt angespannt den Atem an.
Auf meinen Wanderwegen bin ich schon oft diesen Zweibeinern begegnet, getan haben sie mir nie etwas. Sie schienen mich damals nicht einmal bemerkt zu haben, worüber ich überaus froh war. Denn an einem Tag traf ich einen fremden Wolf. Relativ dürr und schwach, mit blutgesprenkeltem Fell. Natürlich hatte ich ihn damals aggressiv angemacht, nur damit er sich fernhält. Doch trotzdessen erzählte er mir beiläufig, was mit ihm geschehen war. Menschen nahmen ihn gefangen und schikanierten den Rüden, der damals ein harmonisch Rudelleben geführt hatte. Was genau mit ihm geschah, sagt er nicht. Doch man konnte ihm das Leiden ansehen. Er konnte entwischen, mit großer Mühe. Man hätte ihn getötet. Seitdem war ich fest der Meinung, dass meine Eltern ebenfalls von Menschen ermordet worden waren. Damals war ich noch ein hilfloser Welpe, der davorstand, eine kleine Anführerin zu werden. Erinnern konnte ich mich jetzt an nichts. Doch solange ich keine Erklärung für den Tod meiner Eltern war, gab ich den Menschen die Schuld.
Ich lauschte angestrengt, doch hörte nichts als das Aufprallen der zahlreichen Regentropfen. Die Menschen konnte ich so nicht ausfindig machen, doch der Menschenduft war stark und schien mich förmlich zu umringen. Hunderte Gedanken schwirrten durch meinen Kopf. Schnell weg hier! Wo sind sie? Trinken! Lauf! Versteck dich! Warte! Schau! Ist es einer? Nein. Wohin? Ich hielt inne und sortierte meine Gedanken, während ich versuchte ruhig liegen zu bleiben. Hier sind mehrere Zweibeiner. Sehr nah. Die Dunkelheit ist bereits eingetreten, was ihnen die Sicht erschwert, sowie der Regen. Entschlossen schlich ich mich am Waldrand entlang. Mein Herz pochte, während ich kaum ans Atmen dachte. Gezielt streifte ich knapp über den Boden zu einer Stelle, an der ich kurz anhielt. Ein Rascheln. Mit weit geöffneten Augen starrte ich ins Nichts und versuchte das Geräusch ausfindig zu machen. Es wurde schneller, entfernte ich jedoch von mir. Ich atmete erleichterte aus. Doch plötzlich ertönte ein lauter Knall, der meinen ganzen Körper beben ließ. Kurz darauf noch einer und wieder einer. Ich schreckte auf und lag zitternd auf dem Waldboden, ohne sich bewegen zu können. Der letzte Knall, gefolgt von einem dumpfen Aufprall, ließ mich todesängstlich aufjaulen. Es ertönte ein tiefer Aufschrei eines Zweibeiners. Jedoch nicht verzweifelt, sondern triumphierend. Und weitere Menschenstimmen, die ebenfalls glücklich aufjaulten. Ein Knattern von Holz war zu hören, ebenso wie laute Schritte zur Lichtung. Noch immer war ich wie versteinert, konnte jedoch mit großer Mühe zur Lichtung hinaufschauen. Ich erkannte nur schwache Umrisse, war mir jedoch sicher die Menschen gesehen zu haben. Kurz darauf stieß mir ein intensiver Blutgeruch in die Nase. Ich zuckte zusammen, woraufhin ich ebenfalls den Geruch eines Rehs erkannte. Sie haben das Reh erlegt. In der Hoffnung, die Jäger würden abgelenkt sein, sprintete ich davon. Irgendwohin. Ins Nichts der Dunkelheit.
Ich stellte die Ohren auf und schnupperte in die Luft. Ich bin da und ich setzte mich erstmal. Ich bin zuhause sagte ich leise zu mir und wedelte leicht mit der Rute. Da ich Durst verspürte suchte ich mir den Weg zum Fluss. Ich hoffte das da zur Zeit wenig los ist.
Ich bewegte mich zögernd. Dieser Ort roch - ja stank nahezu nach Menschen. Auch konnte ich hier außer dem Schnee keinen Wassergeruch wahr nehmen, geschweige denn einen Wasserfall hören. Wie man diesen Ort wohl nennt? Mit einem Mal krachte es in der Nähe und ich duckte mich tief in eine Schneemulde. Ich konnte zwei Menschen sehen, welche etwas vom Boden aufhoben und in diesen komischen Lauten kommunizieren zu schienen. Bei genauerem Hinsehen erkannte ich, dass sie einen Fasan mit sich fort trugen. Bloss weg hier.. Damit schlich ich mich in eine andere Richtung fort.
Außer Atem jagte ich durch die Wälder. Meine langen Beine flogen nur so über den Boden und ich jaulte fröhlich. Erst als ich langsamer wurde und hechelnd weiter trabte, fiel mir auch der Geruch der Menschen auf. Ich war nah zu ihnen heran gekommen. Lieber schnell die Richtung wechseln. Ohne überhaupt in die Richtung zu sehen, drehte ich mich gutgelaunt nach links und... rutschte rasant eine Böschung hinab, überschlug mich und landete schließlich unsanft auf dem Waldboden. Meine Hinterläufe stießen gegen irgendetwas hartes und dann sah ich nur noch wie ein Baum auf mich zugerast kam. Erschrocken fiepte ich laut und kniff die Augen zusammen. Krach! Ich war zu erstarrt um mich zu bewegen. Ich konnte mich gar nicht bewegen. War es das? Bin ich tot? Ich öffnete die Augen. Nein, ich lebte. Doch bewegen konnte ich mich immer noch nicht. Panik flammte in mir auf. War ich gelähmt? Würde ich nie wieder laufen können? Erst nach ein paar Sekunden begriff ich, warum ich mich nicht bewegen konnte. Der Baum lag auf mir. Nicht ganz. Zum Glück war er von einem Baumstumpf abgebremst worden, der verhinderte, dass das komplette Gewicht des Baumes auf mir lag. Aber trotzdem steckte ich fest. Mit aller Kraft versuchte ich mich unter dem Baum herauszuziehen, aber es gelang mir nicht. Ich müsste mich freibuddeln, doch wie, wenn ich mich nicht bewegen konnte? Ich wollte das Maul öffnen, um nach Hilfe zu schreien, doch im letzten Augenblick fiel mir wieder ein, dass Menschen in der Nähe waren. Die Wut über mich selbst, trieb mir Tränen in die Augen. Es ist doch zum verrückt werden! Schließlich gab ich es auf zu versuchen, mich selbst zu befreien, und überlegte fieberhaft, wie ich hier nun rauskommen würde.
Wolfsrudel - Das Leben der fünf Rudel
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07.01.2019 20:38
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