Na sowas. Hatte ich sie überrumpelt? Ich verkniff mir eine sarkastische Bemerkung und sah eine Weile nur schweigend in ihre verwirrten Augen. Dann beugte ich mich leicht vor, hielt aber dennoch Abstand und sah sie ernst an. "Ich fragte, was dein Problem ist. Ich möchte Klartext reden. Du bist schon seit meiner Ankunft sehr angepisst. Ist es wegen meiner Bemerkung? Ich sagte doch, dass es ein Witz war." Freundlicher, aber dennoch noch reichlich kühl betrachtete ich ihre Gesichtszüge und ignorierte dabei den leichten Geruch, welchen sie zu dieser Zeit ausstieß. Machte der mich vielleicht so freundlich? Unfair. Innerlich knurrend, äußerlich die Ruhe selbst, setzte ich mich hin und sah die Fähe herausfordernd an. "Also los, ich höre zu." Auch wenn es mir echt nicht in den Kram passt.

Im leichten Galopp war ich meinem Beta hinterher gelaufen und hatte mich dabei nur wenige Meter hinter ihm gehalten. Wie für uns Wölfe typisch, trat ich in seine Pfotenabdrücke und hielt somit den Effekt aufrecht, dass hier nur ein Wolf gewesen ist. Als wir das Ufer erreichten, löste ich mich aus der Spur und stellte mich an seine Seite. Viele Wölfe und noch viel mehr Gerüche waren hier zu finden, was die Suche sicherlich nicht vereinfachte. Zwar witterte ich Monds Geruch, doch war er nicht zuzuordnen. Fragend blickte ich zu Tristan, der seinen Blick scheinbar ebenfalls schweifen ließ. "Witterst du sie?", fragte ich ihn leise und beschnupperte dabei wie nebenbei das Blatt eines Strauches, welches Mond wahrscheinlich beim Betreten des Lachsflussufers gestreift hatte. Zumindest war ihr Geruch hier gut zu filtern. Aber in der Luft - keine Chance. "Ich wittere sie", redete ich weiter und sah beide Flussseiten hinauf. "Aber ich kann die Richtung nicht zuordnen."

Ich war einen Moment stumm. Dann folgte ich ihrem Blick auf den Fluss. "Misstrauen ist gesund", gab ich ihr mühsam Recht, auch wenn es mir denkbar schwer fiel. "Macht das nicht auch das Schattenrudel aus?" Meine hellen Augen waren kühl und wirkten abwesend, enthielten jedoch trotzdem noch eine Spur Aufmerksamkeit. Geduldig wartete ich ab und beobachtete die sich kräuselnde Wasseroberfläche, in der sich sowohl mein, als auch Aylias Spiegelbild befand. Und auch Bastas, der nur wenige Schritte von mir entfernt stand und die rote Fähe piesackte.

Ich freute mich sehr über Tristans Lob und wurde innerlich bestimmt zehn Zentimeter größer. Als er auf meine Frage nicht sofort antwortete, sah ich ihn fragend an und beobachtete seine Mimik. Er seufzte und schien kurz nachzudenken, dann sah er mich nahezu prüfend an. Mein Blick wurde noch etwas fragender und auch seine Aussage zu mir und meinem Geruchssinn machte für mich einfach keinen Sinn. Doch nach einer kurzen Pause zuckte ich einfach mit den Schultern und begann erneut den Strauch zu beschnüffeln, ehe ich meine Nase auf den Boden heftete und emsig zu schnüffeln begann. Die Fährte war jedoch kaum zu lesen, doch ich wandte mich erst in eine Richtung und versuchte mich irgendwie auf eine leichte Spur zu konzentrieren. Optische Spuren waren bei dem Gewimmel ohnehin nicht zu unterscheiden und so war ich ganz auf eine Spur angewiesen, weswegen meine Nase regelrecht an dem sandigen Boden klebte.
Immer weiter bewegte ich mich millimeterweise voran, bis ich plötzlich den scharfen Geruch eines Rüden wahrnahm und niesend zurückfuhr. Hier hatte jemand mehr als nur seinen Geruch hinterlassen. Angewidert blickte auf die Hinterlassenschaft meines Vorgängers, ehe ich mich umdrehte und zurück zu meinem Ausgangspunkt lief. Erneut nahm ich Monds Fährte an dem Blatt auf und untersuchte anschließend den Boden, doch dieses Mal wandte ich mich in die andere Richtung. Der sandige Boden war jedoch auch hier kaum zu identifizieren und ich musste auch dieses Mal schon nach kurzer Zeit aufgeben.
Gerade wollte ich Tristan resigniert mein Scheitern verdeutlichen, als ich einen Einfall hatte. Mit neuer Energie trabte ich die paar Meter zurück zum Blatt und schnupperte mich dieses Mal an den Pflanzen entlang, die am Ufer grenzten. Tatsächlich kam ich dieses Mal ein bisschen weiter und konnte schon bald Monds Geruch auch so aus der Luft filtern. Begeistert und auch ein wenig erleichtert blickte ich zu Tristan und wedelte dabei erfreut mit der Rute. "Ich hab sie!", rief ich nicht ganz ohne Stolz und begann dann auch schon loszutraben, um Monds Fährte nicht wieder zu verlieren.

Meine Miene veränderte sich kaum, doch ich konnte nicht verleugnen, ein wenig Missmut zu empfinden. Ich verstand nicht, wie man so sehr an seinem Alpha hängen konnte. So viel Loyalität. Als sie endete und wieder eine Pause entstand, dachte ich kurz nach, ehe ich ebenfalls sprach. "War er ein so guter Alpha?" Es war ehrliches Interesse, welches aus mir sprach. Zudem empfand ich Erleichterung, dass wohl doch noch nicht alles verloren war und ich zumindest mal ein anständiges Gespräch mit Aylia auf die Reihe bekam.

Na, das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Sofort nahm ich die Beine in die Pfoten und lief im gestreckten Galopp den Strand runter, wich zwischendurch immer wieder Felsen aus, wenn das Ufer steiniger wurde oder übersprang sie gleich, wenn das Tempo zu hoch war. Dabei brach ich mir mehrmals beinahe das Genick, doch war ich einfach zu gut gelaunt, dass ich Monds Spur gefunden hatte. Einige Meter weiter, sah ich sie auch schon, umgeben von mehreren Wölfen. Eine rötliche Fähe und...Basta! Ein begeistertes Heulen entwand sich meiner Kehle und es dauerte gar nicht lange, da hatte ich die Truppe auch schon erreicht. "Mond! Ein Glück, wir haben uns schon Sorgen gemacht!" Freundlich und auch ein wenig außer Atem sah ich zu dem lachenden Basta, dann blieb mein Blick bei der roten Fähe hängen. Sie sah mir irgendwie...ähnlich. Ein frohes Lachen entfleuchte mir und ich sah sie freundlich an. "Hallo auch, ich heiße Jive!" Dann sah ich wieder zu Mond. Mein Blick wanderte einmal ihren Körper hinab und dann wieder zu ihren hellen Opalen. Sie schien gesund und kräftig. Na sowas.

Ich versuchte das alles irgendwie zu verstehen. Wie kann man zu einem Alpha aufsehen, dem das Rudel am Ar*** vorbeigeht? Ich war ehrlich überrascht und musste das aus purer Ehrlichkeit natürlich auch zum Ausdruck bringen. "Das ist nicht wirklich verständlich", sagte ich geradewegs heraus und sah sie fest an. "Ein Alpha muss das Rudel führen und für es da sein. Dein Emfan hat das also nicht getan. Ist es da nicht vielleicht sogar gut, dass er weg ist?" Meine Ohren zuckten kurz. Es war eine ehrliche Frage gewesen, doch ich hatte dieses ungute Gefühl, dass ich damit vielleicht auch schon zu weit gegangen war. Immerhin hatte Aylia ja scheinbar einen starken Loyalitätssinn und hing an ihrem ehemaligen Alpha. Verständnislos musterte ich sie, fügte dann aber trotzdem noch hinzu: "Oder sehe ich das falsch?" Immerhin hatte ich zu Beginn des Gesprächs auf Klartext beharrt.