Lange bevor sie an meiner Seite Platz nahm konnte ich ihren Geruch riechen. Er vernebelte mir einen Moment lang die Sinne, lenkte meine Konzentration vollkommen auf die Fähe die sich langsam näherte. Doch ich blickte trotzdem weiter geradeaus, achtete darauf nicht zu schnell zu atmen. Als würde jede falsche Bewegung dazu führen, dass sie wieder verschwand. Doch das tat sie nicht, ihr weiches Fell berührte ganz leicht meine Seite und ließ ein Kribbeln über meinen Rücken wandern.
Ihre Nähe beruhigte die Einsamkeit, es schien fast als hätte sie ein paar antworten zu den Fragen in meinem Kopf mit gebracht. Mein Kopf drehte sich einen Augenblick zu ihr, lächelnd betrachtete ich ihr Profil, wie sie die Landschaft beobachtete auf die auch ich die letzten Stunden gestarrt hatte. Doch ihr Blick sah etwas ganz anderes als ich je sehen würde. Dann drehte ich den Kopf zurück geradeaus und brach das Schweigen nach ein paar weiteren Atemzügen. Meinst du ich hatte meinen Teil an Glück und Liebe bereits? Der Teil der mir im Leben zusteht? , meine Stimme war dunkel und nachdenklich. Ich hatte bereits ein schönes Leben, ich hatte Freude, Familie, Welpen, eine Gefährtin wenn auch nur kurz. Doch es fühlte sich so an als wäre das alles meine eine Chance gewesen, die eine Menge an Glück die einem im Leben zusteht. Seit Kiara hatte ich niemanden mehr wirklich geliebt, hatte mich nie wieder jemand wirklich geliebt. Meine Freunde waren langsam verschwunden, einer nach dem anderen und nun saß ich hier und fragte mich ob ich zu gierig war mehr zu wollen. Ich hatte doch schon mehr gehabt als viele Wölfe in ihrem Leben jemals bekommen würden.

Ich hörte ihren Worten zu und drehte mich während sie sprach zurück in ihre Richtung. Meine Lefzen waren zu einem halbseitigen Grinsen hoch gezogen und meine Augen blitzten. Ihr Versuch mich aufzuheitern obwohl ich nur nachdenklich, nicht einmal traurig war ließ ein warmes Gefühl durch meine Brust wandern. Liebe hat keine Menge die irgendwann aufgebraucht ist. Zumindest meine nicht. Es gibt nie genug Liebe und keiner muss sich in der Liebe messen. Keine Liebe kann jemals gleich sein, aber das heißt nicht, dass sie weniger wert ist. Vielleicht spricht da aber auch nur der Italiener aus mir, antwortete ich ihr mit einem Zwinkern auf ihre letzte Aussage.
Sie hatte allerdings recht im Bezug auf meine Kinder, das Rudel und auch Lyv, die Liebe für sie war an keine Bedingungen gebunden. Sie würde ewig bleiben, nichts und niemand würde jemals etwas daran ändern Können. Auch bei Boreas, Maurizio, Ambi, Mizu und alle die nicht mehr bei mir waren, war dies nicht anders. Die Liebe zu ihnen war und würde immer unverändert bleiben.
Doch etwas nagte immer noch an den hinteren Enden meines Bewusstseins, ich erreichte es nicht wirklich. Als würde es jedes mal entwischen wenn ich gerade dabei war es zu greifen. Ich habe dir von meiner Gefährtin erzählt?, ich glaubte zwar, dass ich es getan hatte aber sicher war ich mir nicht mehr, weshalb es einer Frage glich. Es war so einfach und unkompliziert ihr zu erzählen was ich sonst nie aussprach.
Es heißt man vergisst seine erste Liebe nicht aber ich habe es nie geschafft über diese eine Liebe hinweg zu kommen, ich habe immer das getan was ich eben sagte was nicht möglich ist. Ich habe verglichen, jede Fähe die ich je kennen gelernt habe. Nicht mit ihr sondern mit dem Gefühl das ich hatte, ich dachte es wäre die einzigartige richtige Liebe und in einer gewissen Weise war es das. Das erste mal wenn man jemanden liebt ist aufregend, leidenschaftlich und faszinierend. Aber es gibt mehr da draußen als die erste Liebe, tiefere Gefühle, ich habe immer versucht diese Leidenschaft wieder zu finden. Aber keine Fähe hat es je geschafft durch die Mauer zu kommen die Kiaras Verschwinden mit sich geführt hat. Ich war zu jung und zu unreif um wirklich zu begreifen, ihr Verrat tat zu weh und selbst als ich es lange verarbeitet hatte war ich einfach so in meine Verhaltensweisen fest gefahren.
Ich machte eine Pause und sah Aletheia an, schaute ihr direkt in die Augen, meine Mauern waren gefallen und es machte mir nichts aus, dass sie alle Gefühle die ich empfand würde sehen können.

Meine Augen blitzen belustigt und das Grinsen lag noch immer in meinem Gesicht. Manchmal glichen ihre Reaktionen und ihre Gesichtsausdrücke einem jungen Wolf, doch was sie sagte klang meistens nach einer alten Seele.
Anscheinend hatte ich ihr wohl noch nichts erzählt. Verrat ist vielleicht nicht das richtige Wort aber für mich hat es sich so angefühlt. Ich war ein junger Wolf, es gab für mich keine Sorgen auf dieser Welt, jeder Fähe habe ich schöne Augen gemacht, du hättest mich damals mal sehen müssen. Vor meinem inneren Auge betrachtete ich mich selbst, Maurizio an meiner Seite. Wie wir lachend spazieren gingen und uns von unseren Plänen fürs Leben erzählten.
Ihre Berichte sich nicht getraut zu haben ließ mich schmunzeln, ich hätte nicht gedacht, dass sie schüchtern sein konnte. Während mein Blick weiterhin ihren fixierte fiel mir ein weiteres Mal auf wie schön sie war. Schmunzelnd schüttelte ich ganz leicht meinen Kopf, als würde ich Lyv imitieren die dies sonst immer tat wenn ich etwas ihrer meinung nach dummes tat.
Ihr Name war Kiara, wir waren beide noch sehr jung, keine wusste wirklich was er mit seinem Leben anfangen wollte. Mizu unser alter Alpha war gerade ums Leben gekommen und Boreas übernahm seinen Posten, er wählte mich als seinen Beta. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich, dass ich bleiben wollte und es zog mich wie ein Magnet ständig in Kiaras Nähe. Sie war zurückhaltend und ruhig, lieb, vorsichtig und freundlich aber sie konnte sich ebenso gut verteidigen.
Wir sind uns immer näher gekommen, waren wie zwei verliebte Teenager. Ständig wollte ich in ihrer Nähe sein und ihren Duft riechen, es hat mir auch gereicht einfach in ihrer Nähe zu sein oder sie nur anzusehen. Ich schwieg einen Moment denn die Bilder der Vergangenheit und der Gegenwart überlagerten sich. Doch nicht Kiara war hier sondern Aletheia, so unterschiedlich die beiden Fähen auch waren und so unterschiedlich die Gefühle die ich empfand, so waren doch die Grundsätze gleich, was mich leicht aus dem Gleichgewicht brachte. Das könnte mich noch in Schwierigkeiten bringen, wanderte es mir einen kurzen Augenblick durch den Kopf.
Gerade als ich Beta wurde, wurde Kiara trächtig, wir hatten nicht einmal richtig verstanden was das mit uns beiden war. Sie bekam die Kleinen und schien zuerst glücklich, ich hatte zwar eine riesige Panik aber ich blieb da. Lief nicht weg wie ich es immer tat wenn etwas ernster wurde. Plötzlich konnte ich mir vorstellen wie mein Leben aussehen könnte, ich wusste wie ich glücklich sein konnte. Meine Gefährtin zu lieben und meine Welpen groß zu ziehen, war alles was ich wollte und brauchte. Ich liebe die drei und habe sie vom ersten Tag geliebt wie man niemanden außer seine Kinder je lieben kann. Es war faszinierend. Im Nachhinein hätte ich Anzeichen bei Kiara erkennen können, dass es bei ihr nicht so war, aber damals habe ich nicht damit gerechnet. Sobald die drei keine Milch mehr gebaucht haben schlich sie sich Nachts weg und kam nicht wieder. Sie hat mich und ihre Welpen im Stich gelassen, das ganze Rudel. Auch wenn alle geholfen haben, eine Mutter kann nichts ersetzen und ich war selbst nichtmal erwachsen, wie sollte ich Welpen erziehen. Trotzdem sind alle drei Erwachsen geworden, meine Tochter hat sogar ihr eigenes Rudel. Stolz schwang in meiner Stimme und glitzerte in meinen Augen. Ja ich war stolz auf meine Kinder und darauf ein Vater zu sein. Ich hätte gerne noch eine Chance gehabt, jetzt wo ich weiß was ich tue, verriet ich ihr etwas das ich nichtmal mir bis jetzt hatte eingestehen wollen.
Wenn du noch Fragen hast dann frag in Zukunft einfach. Du darfst mich alles fragen und ich werde dir immer ehrlich antworten , es war die Wahrheit. Sie bedeutete mir zu viel, als dass ich sie jemals anlügen würde.

Ich lächelte warm und schüttelte leicht den Kopf, das muss es nicht. Ich denke es hätte sowieso nicht funktioniert, es ist ein Teil meiner Vergangenheit aber ich habe gelernt, dass es auch genau dort hin gehört. Vielleicht war ich einfach nur ein bisschen zu sentimental die letzten Wochen. Irgend etwas hat mich aus dem Gleichgewicht gebracht. Ich wusste immer wer ich bin, habe nie viel nachgedacht sondern einfach nur jeden Tag so genommen wie er kam. Vielleicht sollte ich damit wieder anfangen. Lachend stellte ich meine Ohren auf und wedelte ein bisschen mit meiner Rute von der einen zur anderen Seite.
Ich hätte meinen Kopf gerne an ihre Flanke gedrückt, die Nase in ihrem Fell vergraben und sie an meinen Körper gedrückt. Ich vermisste diese Art Körperkontakt, fast als wäre ich süchtig danach. Doch Aletheia war die einzige Fähe bei der ich mich vollständig zurück hielt. Ich flirtete nicht einmal wirklich mit ihr, zumindest nicht so wie ich es mit anderen hübschen Fähen tat. Mein einziger Wunsch war, dass sie sich wohl fühlte und glücklich war.
Also blieb ich dort wo ich saß mit einem leisen Lächeln sitzen, während meine Rute sachte über den Boden glitt und konzentrierte mich auf ihre Frage.
Lange musste ich jedoch nicht darüber nachdenken ehe ich nickte, dort wo ich her komme wird einem das von Geburt an beigebracht und auch wenn ich kein Rudel hatte, keine Eltern oder wölfischen Geschwister, habe ich es von allen gelernt mit denen Maurizio und ich Kontakt hatten.
Familie ist der Grundstein eines Glücklichen Lebens, das kann für jeden anders aussehen aber keiner hält es lange aus alleine zu sein. Erklärte ich voller Überzeugung und neigte leicht meinen Kopf.
Ja ich hätte gerne eine Familie im traditionellen Sinn, aber ich bin auch so glücklich. Ich habe Familie, Lyvianne und Tril, Rolf, Naya, Saikko. Mein Bruder war eine Katze, wenn das nicht die Bedeutung von Familie ist dann weiß ich es auch nicht. Ich schwieg kurz. Auch du bist meine Familie. Fügte ich dann hinzu und lächelte, keins meiner charmanten und spielerischen Grinsen, sondern ein einfaches warmes Lächeln.
Ich war kein Jungwolf mehr, der mit Herzen in den Augen seine Liebe anhimmelte und sich albern in ihrer Nähe verhielt. Gefühle waren meine Sprache, doch hierbei blieb ich still. Ich verstand die Gefühle noch nicht die ich für sie empfand und ich würde nicht weiter gehen als meine normale herzliche Art. Sie bedeutete mir etwas und das sollte sie wissen, aber weiter würde ich nicht gehen. So weit war ich noch nicht.

Für eine Weile betrachtete ich Aletheia, es fühlte sich an als wäre dieses Schweigen in ordnung. Als wäre es ein Schweigen voller Ruhe, Zuneigung und Verständniss aber ihr Blick sagte mir, dass meine Antwort wichtig war. Meine Vernunft sagte mir ebenfalls, dass ich meine nächsten Worte sorgfältig wählen sollte.
Falls es dir noch nicht aufgefallen ist, ich habe nie ein Problem mit kitschigen Dingen bella Lupa, lachend zwinkerte ich ihr zu bevor ich ein wenig ernster wurde. Sie hatte einen Punkt angesprochen über den auch ich mir schon manches Mal den Kopf zerbrochen hatte, konnte ich ihr gebe was sie brauchte.
Man muss Dingen nicht immer einen Namen geben, ich verstehe meine Gefühle für dich auch noch nicht. Zu wissen, dass du hier bleibst und bei mir bist reicht mir vollkommen. Zumindest im Moment. Etwas blitzte in meinen Augen auf und ein flüchtiges Lächeln wanderte über meine Lefzen bevor ich langsam ansätzte meine Vorstellung ihrer Schilderung zu erklären.
Wo hast du diese Ansicht an eine Gefährtenbindung gelernt? Warum bist du der Meinung, dass einer der beiden einen größeren Platz einnehmen muss.
Für mich bedeutet eine Gefährtin zu haben, dass man etwas dazu gewinnt und nicht sich selbst aufgeben muss. Man gewinnt eine Person dazu die man Zuhause nennen kann, zu der man sich zurück ziehen kann wenn die Welt zu laut und chaotisch wird. Man gewinnt einen Sinn wenn man manchmal ein Stück vom Weg abkommt und nicht weiter weiß.
Ich bin der Meinung, dass es anders herum ist. Man ist vollständig und wundervoll als eigenständiger Wolf, findet man seinen Gefährten fügen sich zwei vollkommene Persönlichkeiten zusammen und gleichen sich aus. Man stützt den anderen in den Bereichen die ihm schwer fallen und lässt sich wiederum unterstützen bei Problemen die man in anderen Bereichen hat.
Als ich geendet hatte schaute ich ihr noch für einen Moment in die Augen, betrachtete ihre Reaktion auf meine Worte und ging noch einmal im Kopf durch ob es alles war was ich hatte sagen wollen.
Dann drehte ich mich ein Stück zur Seite und ließ den Blick über das Tal und die Baumkronen schweifen, stellte mir vor wie Kiara damals an diesem Punkt gestanden hatte und ihr altes Leben zurück ließ.
Weißt du was ich am meisten vermisse?, durch die Realisation zuckte ein belustigtes Grinsen an meinem Mundwinkel.

Der kurze Moment wenn man aufwacht und noch nicht ganz wach ist, wenn man nichts wahrnimmt außer Wärme und der Duft dich umhüllt wie ein Sommertag. Wenn man weiß, egal was an diesem Tag passiert, man kann alles schaffen was man sich je vorgenommen hat. Es ist wie ein Energieschub der durch deine Adern jagt, als könnte man Bären bekämpfen und durch Feuer laufen weil man weiß man wird geliebt. Ich lachte und warf ihr einen kurzen Blick aus belustigten bernstein Augen zu, denn ich hatte schon einmal einen Bärem bekämpft, zusammen mit Mayestril und Rolf. Es ist seltsam wie wichtig kleine Momente sind und genau die sind es die man erst später zu schätzen weiß, man kann ein komplettes eigenständiges Leben leben aber die kleinen Momente teilen, sagte ich wieder ernst mit Blick auf den wunderschönen Ausblick vor uns. So wie dieser hier, dachte ich doch sprach es nicht aus. Hier mit ihr zu sitzen und über unsere Ansichten an die Welt zu sprechen, ließ mein Herz leichter werden und die EInsamkeit verschwinden die ich seit so langer Zeit mit mir trug.

Als sie den Moment erwähnte an dem wir uns kennen gelernt hatten, musste ich lächeln. Daran erinnerst du dich noch so genau? , fragte ich fröhlich. In meiner Brust breitete sich einen Moment ein interessantes Gefühl aus und ich stellte fest, dass mir die Vorstellung gefiel, dass ich darin vorkam.
Selbst erinnerte ich mich gut an den Tag, ich hatte mit Naya gespielt und ihnen das Revier gezeigt. Auch für mich war es einer der Tage gewesen die ich in meinen Gedanken abgespeichert hatte.
Weißt du, es hat mich immer fasziniert welche innige Beziehung Rolf und Mayestril haben. Ich war um ehrlich zu sein schon ein paar Mal ein wenig neidisch. Sie sind einfach zu süß. Gestand ich grinsend und sah zu ihr herüber.