Der Abstieg zu den Wiesen war noch schwerer. Ich musste aufpassen nicht auszurutschen und brauchte eine gefühlte Ewigkeit um den Berg herunterzukommen. Sobald meine Pfoten Gras spürten atmete ich erleichtert auf. Wie peinlich. Ein Bergwolf, der in den Bergen nicht zurechtkommt.
Ich ging ein paar Schritte, bis ich die grünen Wogen überblicken konnte.

Ich war so mit dem Abstieg beschäftigt, dass es mir nicht auffiel, dass Aletheia auch Schwierigkeiten zu haben schien. Erst als ich sie ansah, hatte ich das Gefühl etwas verpasst zu haben. Ich stellte mich neben sie als die grüne Weite vor uns lag und genoss die Spannung, die zwischen uns beiden war. "Schön hier", sagte ich mit warmer Stimme und warf einen Seitenblick zu Aletheia. Fast so schön wie sie! Doch dieses Kommentar verkniff ich mir. Stattdessen räusperte ich mich. "Also, du und Casanova steht euch wohl sehr nah, was?", sagte ich stattdessen. Ich musste einfach herausfinden, was zwischen den beiden war.

Mit hochgezogenen Augenbrauen sah ich ihn an, was sich schwer gestaltete, da er so dich bei mir stand. Schön hier? Ich dachte wir suchen Naila... Ich wollte protestieren, um seine Aufmerksamkeit wieder auf die vorliegende Aufgabe zu richten, wurde aber durch seinen weiteren Kommentar abgehalten. Mein Blick verfinsterte sich etwas. In der Ferne konnte ich den Waldrand zum Felsenwald sehen, an dem Naya, Casanova und ich eine Nacht verbracht hatten. Ich sah die Tautropfen, die am Morgen auf seinem schwarzen Pelz geglitzert hatten und die weißen Pusteblumen, die sich in der Luft verteilten. Die Sonne, die die Wiese in warmes Licht tauchte. Mein Körper fühlte sich leicht an und mein Bauch kribbelte, als ich an die goldenen Augen dachte, die mit einer anziehenden Unbeschwertheit auf Naya herabschauten. Mein Hang zur Nostalgie malte die Situation viel schöner, als sie vermutlich gewesen war.
"Er war der erste, der meine Schwester und mich hier wirklich begrüßt hat. Er hat uns das Revier gezeigt und durch ihn habe ich erfahren, dass sie den Schneesturm überlebt hat," erklärte ich unser... Verhältnis knapp. Ich wollte nicht, dass Rebell wusste, dass ich nicht wusste, wie ich über den Beta fühlte. Ich wusste es ja eigentlich, aber ich hatte Angst. Vor was? Keine Ahnung. Ich wollte auch nicht weiter über ihn nachdenken, sondern diesem Gefühl nachgeben, dass mich jetzt seit einiger Zeit verfolgte. Ich wusste nicht, ob ich den Rüden neben mir nur mochte, weil es diese Zeit im Jahr war, von der ich im Allgemeinen gar keine Ahnung hatte, obwohl ich das alles im letzten Jahr schon hätte erleben müssen, oder ob die Gefühle auch später bleiben würden, aber es war mir sowas von egal. Und wenn schon! Dann wär das halt einmalig und wir würden uns nie wieder sehen. Dann war es auch okay.
Ich reckte meine Schnauze ohne Vorwarnung zu Rebell vor — und machte einen Rückzieher.

Ich nickte nur. Sie schien nicht über Casanova sprechen zu wollen, was ich verstand. Mein Blick fuhr über die Wiesen, doch ich konnte keine Bewegung ausmachen. Es war vollkommen ruhig. Meine Schwester schien nicht hier zu sein. Ich spürte, dass ich enttäuscht war, auch wenn ich eigentlich nicht mit ihr gerechnet hatte. Wo sollte ich denn noch suchen? War meine Chance endlich mit ihr zu sprechen vielleicht für immer vertan? Aus den Augenwinkeln machte ich eine Bewegung aus. Aletheia hatte ihre Schnauze in meine Richtung gestreckt, doch sich dann irgendwie umentschieden. Ich sah zu ihr und legte den Kopf schief. War es das gewesen, was ich dachte, was es war? Hatte sie einen Annäherungsversuch gestartet? Ihr Duft stieg mir wieder in die Schnauze und ich konnte nichts anderes mehr wahrnehmen. "Ich glaube, hier ist sie auch nicht", sagte ich mit leicht kratziger Stimme. Ich spürte wie warm mein Körper wurde und mein Bauch begann zu kribbeln. Welche Art von Gefühl das war, konnte ich noch nicht ganz ausmachen. War es Liebe oder nur Lust? Ich versuchte mich zusammen zu reißen, denn je mehr ich darüber nachdachte, desto schwerer wurde es, einfach nunr neben ihr zu stehen.