Rebell schaute mich nur schief an. Autsch. Hatte ich das alles falsch gedeutet? Ich wendete meinen Blick schnell ab und schaute angestrengt über die Wiese ohne wirklich irgendwohin zu schauen. Vielleicht hatte ich mich auch einfach missverständlich ausgedrückt. Vielleicht dachte er, dass ich gedacht hatte, dass er Dreck auf der Schnauze hatte, oder ein Insekt im Fell.
Seine Stimme war nicht mehr normal. Hatte er vielleicht doch verstanden, dass ich ihm wie ein kleiner Welpe über die Schnauze hatte schlecken wollen? Schämte er sich etwa für mein Verhalten? War es ihm peinlich, dass ich gedacht hatte, dass er Interesse an mir haben könnte?
"Nein. Nichts," erwiderte ich resigniert, ohne zu wissen, ob das stimmte.
Ich war drauf und dran einfach mit allen meinen Gedanken rauszuplatzen. Aber das würde ich bereuen, also ließ ich es bleiben.
"Wald?", brachte ich nur heraus und schaute ihn fragen und vielleicht mit etwas Verzweiflung an. Dumm. Lass das Reden sein.

Ihre Reaktion verwirrte mich. Hatte ich ihre Bewegung richtig gedeutet? Als sie den Wald vorschlug, schwieg ich kurz. Ich wollte gerade lieber mit ihr allleine sein. "Wir können auch noch ein bisschen über die Wiese laufen. Vielleicht fällt uns noch etwas auf", schlug ich vor und lächelte sie an. Sie schien sich irgendwie schlecht zu fühlen. Ohne richtig darüber nachzudenken, legte ich meine Schnauze hinter ihr Ohr. Ich hatte sie nur anstupsen wollen, aber ich kam nicht mehr von ihr weg. Ihr Duft war so einnehmend und ihre konnte ihre Wärme spüren. Vorsichtig leckte ich ihr mit der Zunge über das Ohr.

Sein Lächeln erwiderte ich automatisch. "Einver—", setzte ich an, kam aber nicht weiter. Rebell drückte seine Schnauze in mein Fell und schleckte mein Ohr ab. Perplex zog ich meinen Kopf zurück und starrte ihn an. Meine Zweifel von eben waren restlos weggewischt. Dafür kamen andere auf: Ich kenne ihn erst seit heute! Seit wenigen Stunden! Kann man sich da überhaupt schon in jemanden verlieben? Bin ich verliebt? Ist er in mich verliebt? Wir kennen und doch gar nicht. Muss ich in ihn verliebt sein? Nein, oder? Aber will ich?
Über all diese Gedanken, die mehr als allgemeines Gefühl der Verwirrung und Ratlosigkeit beschrieben werden konnten, setzte ich mich nun bewusst und bestimmt hinweg. Ich hatte ganz einfach keine Lust mehr über jedes kleine Bisschen so viel nachzudenken.
Also machte ich wieder den Schritt auf ihn zu, den ich eben zurückgegangen war, suchte seine blauen Augen und leckte ihm einmal über die Schnauze. Ich grinste und wackelte herausfordernd mit den Ohren. Geht doch.

Ich sah sie an, als sie zurückwich. War ich zu weit gegangen? Ich wollte nicht, dass sie sich unwohl fühlte. Ich konnte nur einfach nicht anders. Als sie mir dann über die Schnauze leckte, strahlte ich und wedelte mit der Rute. Dann beugte ich mich vor und rieb meine Schnauze an ihrer. "Willst du die Richtung vorgeben, Hübsche?", fragte ich und grinste sie ebenfalls herausfordernd an. Mir war es egal in welche Richtung wir weiter gingen, solange sie bei mir war.

Das Lächeln wollte mir einfach nicht aus dem Gesicht weichen. Hübsche.
Ich nickte, drehte mich um und ging voraus. Irgendwohin. Er findet mich hübsch.
Ich hatte nie gedacht, dass ich hässlich war. Immerhin war ich die Tochter meiner Mutter. Aber da war trotzdem dieser leise Zweifel, der sich hin und wieder einschlich. Besonders, wenn ich andere Fähen sah, die mit ihrer Ausstrahlung und ihrem glänzenden Fell die Herzen zum schmelzen brachten. Aber Rebell hatte mich hübsch genannt und das ließ mich für den Augenblick mein Selbstbewusstsein wiederfinden. Ob ich das je gehabt hatte war eigentlich unsicher. Stolz, ja. Aber man konnte auch stolz sein ohne selbstsicher zu sein.
Mit schwingender Rute ging ich voraus, mitten durch die Wiese. Mein ganzer Körper war angespannt, unwissend, was als nächstes passieren würde. Aber auf eine gute Weise.
Dann fiel mir ein, dass wir ja noch den Vorwand aufrecht erhielten nach Naila zu suchen. "Noch immer keine Spur von ihr."

Ich bemerkte, wie sie freudig sie auf meine Bezeichnung für die reagierte und das machte mich glücklich und auch stolz, dass ich sie glücklich gemacht hatte. Ich lief neben ihr her und sah über die Wiese. Auf ihr Kommentar hin nickte ich. "Hier ist sie wahrscheinlich nicht, aber wir können hier ruhig eine Pause machen", schlug ich vor. Ich konnte schon die ersten Blumen ausmachen und Aletheia sah in dieser Umgebung sogar noch schöner aus als sonst schon. Vorsichtig berührte ich sie mit meiner Seite an ihrer Seite, nur um ihr nahe zu sein. Nur um ihre Wärme nochmal zu spüren.

Rebell schlug eine Pause vor und drückte sich leicht an meine Seite. Ich ließ mich an Ort und Stelle nieder und sah abwartend zu ihm hoch. Hinter ihm stand der Mond bereits am Himmel. Wir waren den ganzen Tag unterwegs gewesen, doch die Zeit kam mir gar nicht so lange vor. Trotzdem spürte ich die Müdigkeit in meinem Beinen und streckte mich ausgiebig, um die Anspannung loszuwerden. "Lass und morgen weitersuchen. Oder du schaust noch mal in eurem Revier. Du warst lange weg. Vielleicht ist sie in der zeit wieder aufgetaucht", schlug ich vor.

Ich sah sie mit schiefgelegtem Kopf an. "Schickst du mich fort?", fragte ich. Vielleicht wollte sie ja, dass ich ging. Andererseits hatte sie recht. Vielleicht war Naila wirklich wieder aufgetaucht. Dann hätte ich aber keinen Grund wieder zu Aletheia zurückzukehren. Ich verspürte keine Unsicherheit. Ich würde es ihr auch nicht übel nehmen, wenn sie mal wieder etwas Zeit für sich wollte. Schließlich waren wir lange miteinander unterwegs gewesen und ihr betörender Duft war zwar noch da, doch schon viel schwächer geworden. Ich konnte allerdings nicht anders als sie anzulächeln. Mir wurde ganz warm, wenn ich sie betrachtete. Also wartete ich lächelnd auf eine Antwort und hoffte, dass sie ehrlich sein würde.

Ich dachte kurz nach und überlegte, ob ich gerne Bedauern in seiner Stimme gehört hätte, oder nicht. Ich wusste nicht mal, ob ich es hörte oder nicht. "Ich meine nur... Also das ist dein Revier. Ich wollte mich nicht selbst einladen," erklärte ich und biss mir innerlich auf die Zunge. jetzt würde er denken, dass ich unbedingt da hin wollte, aber da wollte ich doch gar nicht. Aaaah. Hatte ich das hier nicht ganz selbstbewusst handhaben wollen? Ich fand ihn nett. Warum sollte ich denn nicht mehr Zeit mit ihm verbringen wollen. Daran war nichts verfänglich.

Ich sah sie mit einem leichten Lachen an. Vielleicht war es auch ganz gut, wenn jeder etwas Zeit für sich hatte. Vielleicht brauchte sie einfach etwas Zeit zum Nachdenken. Sie wirkte auf mich verwirrter als vorher. Mit Sicherheit lag das an dem Betawolf. Ich seufzte leise. Tja, ich hatte meine Chance wohl vertan. Wer wusste, ob ich nochmal eine bekommen würde. "Ich sollte wahrscheinlich wirklich kurz auf dem Rudelplatz vorbeischauen", sagte ich dann. "Wenn du möchtest, können wir uns ja nochmal in den Freien Gebieten treffen, auch falls meine Schwester wieder da sein sollte", schlug ich vor und sah sie abwartend an. Ich mochte sie und dieser Worwand mit meiner Schwester wurde mir langsam zu lächerlich. Wenn sie mich nicht mochte, konnte sie nun immer noch nein sagen. Das würde ich schon verkraften. Auch wenn mir bei dem Gedanken daran der Hals zugeschnürt wurde.

Obwohl er lächelte schien die ganze Sorglosigkeit von vorher vorbei zu sein. Ich stand wieder auf und schaute etwas enttäuscht in der Gegend herum. Vielleicht wollte er mich auch gar nicht da haben. Ansonsten hätte er mich jetzt ja eingeladen. Meine Stimmung schlug schlagartig um. Ich hatte das seltsam Gefühl mir und ihm etwas vorgespielt zu haben. Ich konnte es gar nicht glauben, dass ich überlegt hatte, ob ich in ihn verliebt war. Vielleicht hatte er die selben Gedanken.
Nach außen hin versuchte ich mir aber trotzdem nichts anmerken zu lassen. "Ja, okay," stimmte ich also mit einem Lächeln zu. Ich wollte ja auch wissen, ob seine Schwester wieder auftauchen würde.

Irgendwie schien sie etwas enttäuscht zu sein und plötzlich schien sie ganz anders zu Empfinden. Ich spürte eine komische Spannung in der Luft, die mich etwas traurig machte. Emotionen, die sich geändert hatten. "Gut, dann... bis bald", sagte ich und versuchte mir nun meine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. Ehe ich weiter darüber nachdenken konnte, drehte ich mich um und lief zurück nach Hause.

>> Silbersee

Ja super. Und woher wissen wir jetzt wann und wo wir uns treffen? So schnell wie wir zusammengefunden hatten, so schnell trennten wir uns also wieder. Meine Gefühle schienen wie weggewischt. Ich war nervös gewesen und hatte seine Nähe gewollt, aber jetzt ärgerte ich mich. Wie hatte ich mich nur so von mir selbst täuschen lassen? Ich nahm mir nichtmal die Zeit ihm hinterherzuschauen, als er einfach ging. Ob ich das bereuen würde wusste ich nicht — vermutlich; ich bereute in letzter Zeit ziemlich viel. Aber in diesem Moment fühlten sich nur die Gefühle real und richtig an, die ich jetzt gerade hatte.
Mit einem missmutigen Grummeln stand ich auf und ging einfach los. Ich würde bestimmt nicht wieder deprimiert irgendwo herumliegen.

Unmotiviert und genervt von der Welt war ich im Revier herumgestreunt während meine Gedanken sich mal wieder im Kreis drehten. Ich war zu dem Entschluss gekommen, dass ich diese Anziehung zu Rebell nur wegen des Frühlings gespürt hatte. Zwar schämte ich mich ein bisschen, dass ich mich nicht besser im Griff gehabt hatte, aber auf der anderen Seite war das ja wohl auch normal. Immerhin war ich nun seit einiger Zeit erwachsen und wohl sogar eher ein Spätzünder.
Casanova tauchte wieder vor meinem inneren Auge auf. Was, wenn ich die Ablenkung nur so bereitwillig in Kauf genommen hatte, weil ich mich diesen nervenaufreibenden Gefühlen nicht hatte stellen wollen? Ich bin ganz schön feige.
Irgendwann fand ich mich auf dem Rücken liegend wieder. Die grünen Baumkronen wurden vom Sonnenlicht durchströmt und schwangen sanft hin un her, sodass Licht und Schatten schöne Muster auf dem Boden zeichneten. Hypnotisiert folgte ich den Flecken und spürte wie die Wärme durch mein Fell in meinen Körper sickerte. Diese undefinierbare Sehnsucht machte sich wieder in mir breit und ich erkannte diesmal, dass nichts auf der Welt sie jemals stillen könnte. Kein noch so passendes Rudel und auch kein Gefährte. Ich musste aufhören mich an dieses Gefühl zu klammern um eine Lösung zu finden, denn es gab keine. Der schöne schwarze Wolf hatte mir seine Gefühle gestanden. Ich wollte es noch immer nicht wahrhaben, denn ich hatte Angst ihm das zu glauben. Dabei wusste ich, dass meine Sorgen vollkommen irrational waren. Er hatte keinen Grund mich so zu belügen. Und ich was es müde meine Gefühle zu leugnen.
Irgendwie fühlte sich nichts so ganz real an und das war gleichzeitig beängstigend und befreiend.

--> Rudelplatz