Aufmerksam beobachtete ich die Bäume und lauschte ob ich etwas hören würde. Es verging nicht viel Zeit, bis die Blätter raschelten und der Alpha der Silberwölfe in Sicht kam. Er war ein großer Wolf, wir waren ungefähr gleich groß. Nur mein körperbau war kräftiger, mäßiger. Durch seine weiße Nase wirkte er immer etwas älter, sein Körper war schlank aber man durfte ihn keinesfalls unterschätzen. Er strahlte immer Macht aus und trotz Freundlichkeit auch eine gewisse Arrogante Distanziertkeit. Doch jetzt sah er aus als hätte er einen Geist gesehen, in dem Moment wusste ich, dass es wirklich Reylights Schwester war die neben mir stand. Da Mareks Aufmerksamkeit nicht auf mir lag, konnte ich ihn beobachten und der Schock in seinem Blick verpasste mir einen Stich. Kurz fragte ich mich ob es eine gute Idee war, dann besann ich mich darauf, dass es für beide so oder so wichtig war. Hallo Marek, es tut mir leid, dass wir dich stören aber ich bringe dir jemanden der ein paar Fragen hat. Mirabelle sucht ihre Schwester Reylight und ich dachte das das kein Zufall sein kann. Ich... Habe ihr schon gesagt was passiert ist. Aber vielleicht hast du ja die Möglichkeit ihr zu helfen . Sagte ich ruhig und freundlich, auch wenn er mich nicht ansah, neigte ich höflich den Kopf. Unbewusst rückte ich näher an die dunkle Fähe, da ich nicht wusste wie er reagieren würde. Immernoch war der Beschützerinstinkt prominent den ich ohne Grund für sie empfand.

Lange warteten wir nicht, als ich schon Pfoten hörte, die über den Boden polterten und immer wieder auf dem knirschenden Schnee aufkamen. Ich hatte das Gefühl, dass mit jeder voranschreitenden Sekunde mein Herzschlag sich förmlich überschlug und als der große Rüde dann vor uns stand, schielte ich zu ihm herüber. Obwohl er kein einziges Wort sagte, so wusste ich an der Art und Weise wie er mich ansah, dass es Marek sein musste und dieser Schock oder diese Traurigkeit die in seinem Blick stand, bestätigte mir dann auch, dass es wirklich meine Schwester gewesen war, die gestorben war. Die Woge der Traurigkeit überkam mich, aber versuchte ich ein weiteres Mal dieses Gefühl niederzukämpfen und mich stattdessen auf die Neugierde zu konzentrieren, welche mich bei diesem Aufeinandertreffen erfüllte. Noch immer hielt ich meinen Kopf gesenkt, um meine Demut zu bekräftigen, da ich weder unhöflich noch angriffslustig wirken wollte. Dank Casanova wusste ich, dass Marek der Alphawolf dieses Rudels war und als solcher wollte ich ihn auch behandeln. Stumm wartete ich die Worte von dem dunklen Wolfen neben mir ab und spürte wie er am Ende seiner Worte etwas näher an mich rückte, wofür ich ihm im Stillen auch dankbar war, da ich das Gefühl hatte als würden meine Beine jeden Augenblick einfach zur Seite wegknicken. Leise räusperte ich mich, denn ich wollte mich auch noch vorstellen. "Guten Tag Marek. Wie Casanova schon sagte, so ist mein Name Mirabelle. Ich hoffe, dass ich dich mit meinem Anliegen nicht belästige, jedoch..." Meine Stimme versagte und ich musste einmal tief durchatmen. Reiß dich gefälligst zusammen! Schwäche sollte man nicht zeigen, doch manchmal konnte ich kaum etwas dagegen machen, wenn die Gefühle mich belasteten. "Dein Verlust tut mir unfassbar leid und ich kann es auch verstehen, wenn du mich lieber fortschicken möchtest. Doch ich suche schon sehr lange nach meiner Schwester und meinem Bruder Chris und würde gerne etwas über Reyleigh erfahren."

Die Situation war seltsam und ich stellte mir vor, was Lyvianne wohl dazu sagen würde, wenn ich ihr davon erzählte. Doch das lag noch ein ganzes Stück in der Zukunft, denn erstmal musste ich mich noch mit dem Moment außeinander setzten. Denn Marek war ein Alpha Wolf und ich wusste zwar, er würde Mirabelle gut behandeln aber etwas störte mich. Ich wusste nicht ob es sein intensiver Blick war, oder sein abwesendes Verhalten, doch ich fühlte mich nicht wohl damit, die dunkle Fähe alleine zu lassen. Sie kann sicher gut auf sich selbst aufpassen, versuchte ich mich abzulenken, denn eigentlich hatte ich sie hier her bringen wollen um dann den Weg zurück zu meinem Rudel anzutreten. Doch meine Pfoten bewegten sich kein Stück von der Stelle. Unschlüssig und nachdenklich blickte ich zwischen Marek und Mirabelle hin und her. Sie sagte sie kannte hier noch niemanden sonst und sie einfach abzuschieben an Marek, war nicht die Art eines Gentleman. Aber vermutlich wollte sie nicht einmal dass ich blieb. Los, sag das ist sehr freundlich von dir, aber ich wollte nur sichergehen, dass sie auch wohlbehalten ankommt, dachte ich zur gleichen Zeit als ich den Mund aufmachte. Danke Marek das ist sehr freundlich von dir, auch wenn wir dich etwas überrumpelt haben. Freundlich aber distanziert, nickte ich dem Alpha zu. Ich wollte Mitgefühl zeigen aber kein Mitleid. Das wäre bei einem Alpha kein besonders kluger Schachzug. Komm wir gucken uns an wo deine Schwester gelebt hat, mein Blick war fröhlich um die gedrückte Stimmung auszugleichen. Ich hoffte es würde ihr wie Lyvianne helfen, geerdet zu bleiben. Denn ich konnte schon seit dem ich es ihr erzählt hatte, sehen wie sie innerlich mit sich rang. Zusätzlich interessierte es mich tatsächlich wie die Silberwölfe lebten, denn ich war noch nicht oft in ihrem Revier gewesen.

Das Starren von Marek ging mir durch Mark und Bein, da ich auch unsicher war wie ich es deuten sollte. Ob er sauer war? Empört über meine Bitte? Aber dann entschuldigte er sich auf einmal und senkte seinen Kopf, was mich innerlich verblüffte, da ich nie erlebt hatte, dass ein Alpha sich entschuldigte. Stumm wartete ich ab, als Marek sich an Casanova wandte und dann schließlich zu mir herüberblickte. Er ist höflich, stellte ich fest, jedoch wirkte sein Lächeln ein wenig verzerrt. Trotzdem wusste ich es sehr zu schätzen und langsam hob ich meinen Kopf nun, erwiderte vorsichtig das Lächeln. Noch immer kämpfte das schlechte Gewissen und die Unsicherheit mit der Neugierde und dem Ehrgeiz in mir, doch ich war auch von Dankbarkeit erfüllt als er meinte, dass er sich mit mir unterhalten würde. „Vielen Dank, Marek. Das weiß ich wirklich sehr zu schätzen“, lächelte ich nun etwas sicherer und blickte dann von ihm zu Casanova, der auch wieder begann zu sprechen. „Jawohl“, lächelte ich bei seinem freudigen Ton, doch als ich dann näher in diesen Wald trat, fühlte ich wie die seltsamsten Emotionen in mir hochkamen und auf einmal war Freude nur zweitrangig geworden. Ich stand in dem Revier meiner toten Schwester. Ich besuchte den Gefährten meiner toten Schwester. Tot. Reyleigh war tot. Ich schluckte und bemühte mich trotzdem weiterhin um ein Lächeln. „Ein schöner Wald! Ihr… Ihr scheint ein sehr großes Revier zu haben“, sprach ich, um den Prozess der Realisierung vielleicht noch aufzuhalten oder zumindest verlangsamen zu können.

Kurz sah es aus als würde mein Versuch funktionieren. Der traurige Glanz in ihren Augen verschwand und sie wirkte immer noch angespannt aber ein wenig ruhiger. Doch sobald wir die Rudelgrenze überwanden, schien sich etwas zu verändern. Vielleicht war es ein Gedanke oder etwas in der Art, denn ich erkannte deutlich die Veränderung in ihrer Haltung. Den Kampf den sie wieder still mit sich selbst ausfocht und diesmal sagte ich nichts. Aber ich stubste kurz die Nase an ihre Schulter damit sie mich ansehen musste, mein lächeln war mitfühlend und ich hoffte mein Blick würde ihr zeigen, dass sie sich nicht so sehr zurückhalten musste. Es war eine schwierige Situation und sie hatte alles Recht die Gefühle die sie fühlte auch herauszulassen.
Marek bot an uns das Revier zu zeigen und ich sah zwischen ihm und Mirabelle hin und her. Meine Aufgabe hier war nur Moralischer Beistand, alles andere hatte die Wölfin neben mir zu entscheiden. Doch als er Naila erwähnte fiel mir etwas ein, Naila war vor Kurzem bei uns zu Besuch, mein Sohn hat eine Weile mit ihr geredet. Anscheinend ging es ihr da sehr gut, sie wollte wissen, wie es bei uns war nach dem langen Schlaf und ob wir... Verluste erleiden mussten. Sagte ich ihm kurz, eh ich wieder schwieg. Denn das war nicht so wichtig gerade, ich wollte ihm nur die Information geben wenn ich schonmal die Möglichkeit hatte.

Ich vernahm das Angebot von Marek und es half mir ein wenig meine Gedanken auf das Thema „Revier“ zu lenken, so konnte ich den Prozess noch etwas verlangsamen. Doch als der Alpha von Reyleighs Grab sprach und von seinem Nachwuchs, konnte ich nicht anders als betroffen die Ohren hängen zu lassen. Ich kannte Marek nicht gut genug, um sein Verhalten einschätzen zu können, jedoch schien er sich zusammenzureißen und ich hatte das Gefühl, dass er seine Emotionen durchaus besser unter Kontrolle hatte als ich. „Ich freue mich schon darauf ihre Bekanntschaft zu machen, also von deinem Sohn und deiner Tochter“, kam es im sanften Tonfall von mir und versuchte den Kloß zu ignorieren, der sich unaufhörlich in meinem Bauch und meinem Hals zu bilden schien. Den Blick von Casanova bemerkte ich zwar, wusste ihn aber gerade nicht zu deuten, da ich zu sehr damit beschäftigt war zurückzuhalten, was eigentlich unvermeidlich war. Ich hörte zu wie sie über Naila sprachen, Mareks Tochter, und hing dabei meinen Gedanken nach, wartete ihr Gespräch bis zum Ende ab, ehe ich mich mit einem zaghaften und eher zerbrechlichen Lächeln an den Betawolf wandte. Ohne ihn hätte ich nicht zu Marek gefunden, hätte nicht die Wahrheit über meine Schwester herausgefunden. Ich war ihm so unfassbar dankbar und auch dass er sogar mit mir kommen wollte, aber ich hatte das Gefühl, dass ich alleine über die Ziellinie treten musste. Vielleicht lag es daran, dass ich bisher fast immer alleine gewesen war, seit ich meine Familie und mein Rudel verlassen hatte und somit gelernt hatte, dass man seinen Schmerz mit sich selbst ausmachen musste, aber ich wollte auch die Grenzen der Privatsphäre bei Marek nicht überschreiten bei diesem Thema. „Casanova“, sprach ich ihn ebenso sanft an, „ich danke dir für alles und dass du mich zu Marek gebracht hast. Aber ich denke, dass hier muss ich alleine mit Marek machen.“ Ich mochte es nicht um den heißen Brei zu reden, wollte ihn aber auch nicht verärgern oder verletzen. Nichts lag mir ferner als das. Aber ich wollte mich dem stellen und so viel von Marek hören wie er mir erzählen wollte und konnte. „Entschuldige, ich will dich nicht verärgern, nur will ich mich erstmal alleine damit auseinandersetzen. Außerdem vermisst dein Rudel dich auch sicher schon.“ Unsicher zuckten meine Ohren und ich stupste ihn mit meiner Schnauze an der Schulter an. Ich hoffte er konnte das verstehen. Das Zwitschern eines Vogels lies mich kurz aufsehen, erinnerte mich an meine Umgebung und daran, dass ich mich in einem fremden Rudelgebiet befand. Natürlich verunsicherte mich das, doch nun wo ich am Ende angelangt war, würde ich auch keinen Rückzieher mehr machen, war ich da doch ziemlich entschlossen, auch wenn es einen Sturm in meinem Inneren auslöste.

Ich Lächelte kurz als Marek über Naila sprach und nickte. Ja Kinder waren wirklich etwas ganz eigenes, meine hatten einen ganz schönen Dickkopf und ich fragte mich was sie wohl gerade so trieben. Es kam mir wie ein ganzes Leben vor, das zwischen jetzt und ihrer Geburt lag.
Mirabelle schickte mich weg, was ich sehr schade fand aber verstehen konnte. Ratlos sah ich die Fähe einen Moment an, denn mein Instinkt fühlte sich nicht sonderlich wohl dabei einfach zu gehen. Doch wir kannten uns nicht lange, rief ich mir ins Gedächtnis. Es war ihr gutes Recht mich nicht bei sich haben zu wollen, schließlich ging es mich auch nichts an. Die Bemerkung mit meinem Rudel hätte mich fast seufzen lassen, doch ich konnte mich zurückhalten. Mein übliches sorgloses Lächeln trat auf meine Lefzen auch wenn es nun nicht mehr ganz so ehrlich war. Na dann, ich hoffe du findest ein paar Antworten. Vielleicht sieht man sich ja mal wieder, du weißt wo du mich findest, sagte ich während mein Lächeln vielleicht eine Spur zu dick aufgetragen war. Ich sah zu Marek und neigte meinen Kopf, danke und behandel sie gut. Einen kurzen Moment blitzen meine hellen Augen ernst, dann drehte ich mich um und verschwand so lautlos wie es mein großer Körper zuließ, zwischen den Bäumen. Es irritierte mich, wieso ich mich so seltsam verhielt und wieso ich solch ein starkes Bedürfniss hatte die dunkle Fähe zu schützen. Daher war ein schneller Rückzug das sicherste, ich würde mal nach Lyvianne sehen und schauen ob es Rolf und Tril gut ging. Schließlich konnte ich mich nicht ewig davor drücken zurück zum Rudel zu gehen.

-Bergwölfe Rudelplatz

An dem Gespräch über Welpen konnte ich mich nicht beteiligen, weshalb ich stumm dabei blieb. Trotzdem spürte ich einen spitzen Dorn in meinem Herzen, denn irgendwie packte mich ein Gefühl von Sehnsucht. Sehnsucht nach etwas, was ich noch nie gehabt hatte. Weder einen Gefährten noch eigene Welpen, weshalb ich die beiden Rüden ein wenig im Stillen beneidete. "Danke, Casanova." Noch immer tat es mir leid, fühlte die Schuld an mir knabbern, doch ich musste diesen Schritt alleine gehen. Als er sagte, ich würde ja wissen wo ich ihn fand, trat kurz ein verwirrter Ausdruck auf mein Gesicht, denn ich kannte mich ja so gut wie gar nicht hier aus. Meint er vielleicht, dass ich ihn bei seinem Rudel finde? Aber ich durfte doch nicht einfach so ein Rudelgebiet betreten, oder? Aber ich würde ihn schon gerne mal wiedersehen... Hoffnung darauf stieg in mir auf, doch wollte ich mich damit jetzt noch nicht auseinandersetzen, sondern wandte mich Marek zu, nachdem ich dem Betawolf noch einen langen Moment nachgesehen hatte, bis seine Gestalt gänzlich aus meinem Blickfeld verschwunden war. "Also", begann ich zögernd an Marek gewandt und lächelte ihn unsicher an, "wo gehen wir zuerst hin?"

Konnte man es Vertrauen nennen? Vermutlich. Zwar fühlte ich mich noch immer höchst unsicher so mitten in einem Rudelgebiet und mit dem Alpha, doch bekam Marek zumindest einen so großen Vertrauensvorschuss von mir, dass ich glaubte -oder hoffte- dass er mir nichts tun würde und mir wirklich helfen wollte. Genauso wie er scheinbar mir einen Vertrauensvorschuss gab, dass er mich hier in sein Territorium lies. Dass ich Reyleigh so ähnlich sah, verleitete mich dazu etwas die Ohren hängen zu lassen, da es mir leid tat, dass mein Anblick ihn scheinbar so schmerzte. Traurig lächelte ich ihn an. "Ja, das... hat meine Mutter auch oft gesagt." Ich schluckte. Nun, wo ich mit Marek wieder alleine war und Casanova nicht mehr als moralische Stütze diente, holten mich meine Emotionen wieder schneller ein als mir lieb war. "Ich erinnere mich ehrlich gesagt nicht mehr gut an Reyleigh. Als meine Schwester verschwand, war ich noch klein. Ich erinnere mich an den Klang ihrer Stimme und verschwommen an die weiße Raute auf ihrer Stirn, wonach ich immer greifen wollte, da ich es für einen Käfer gehalten habe." Das war eine von den raren Erinnerungen, die ich noch besaß, was meine Schwester betraf. Besser konnte ich mich dafür an Chris erinnern, da er erst später aufgebrochen war und ich somit noch etwas mehr Zeit mit ihm verbracht hatte. Mareks Planung lenkte mich wieder ein wenig ab und da ich von den Gebieten schließlich keine Ahnung hatte, nickte ich einfach mal. "Du scheinst das gut überlegt zu haben", stellte ich fest. "Es hört sich sehr gut an, ich bin natürlich einverstanden."

Vielleicht… Ich hoffte es. Als Marek begann sich in Bewegung zu setzen, folgte ich ihm auch gleich.

=> Silbersee