Von Glückshormonen angetrieben, trat ich gegen das Wasser und hielt mich immer in der Nähe des braunen Wolfes auf, um ihm notfalls die versprochene Stütze zu sein. Er schien wirklich kein guter Schwimmer zu sein, da er sich mehrmals am Wasser verschluckte. Ich genoss den kurzen Ausflug im kühlen Nass, drehte mehrmals einen Kreis um den Wolf und schwamm ihm dann zum Ufer der Insel hinterher.

Der sandige Boden unter meinen Pfoten fühlte sich weich an und ich machte es Tayro nach, indem ich mich mehrmals schüttelte und das Wasser nur so aus meinem Fell flog. Dabei beließ ich es auch, mich störte es nicht, dass ich nass war. Ich ließ mich neben Tayro nieder und blickte auf den silbernen See, in dem sich der Mond und die Sterne spiegelte. "Jagen ist für mich eine Notwendigkeit. Ein Übel um meinen Magen zu füllen. Schwimmen dagegen bedeutet für mich Spaß. Ich liebe diese Schwerelosigkeit, aber auch das Gefühl danach. Nach dem Schwimmen fühle ich jeden Muskel und weiß, was ich getan habe." Kurz dachte ich an meine Welpenzeit und musste lächeln. Als Welpe hatte ich Angst vor Wasser, doch Elena hat mir diese schnell genommen. Ich habe nicht von meiner Mutter schwimmen gelernt, sondern von einem Menschen. Tagelang waren wir am Fluss gewesen, während Elena über mir stand, mich hielt und mir die nötige Sicherheit gab. Wehmütig nahm ich mir vor, demnächst bei Marek die Erlaubnis zu holen, meinen Menschen besuchen zu dürfen. Ich wollte es ungern zugeben, aber sie fehlte mir.

Ich musste grinsen. "Rennen über die Wiesen... ja, das Gefühl liebe ich auch. Ich mag den Wind als meinen Begleiter! Aber dazu brauche ich nicht irgendein Wild vor mir. Ich komme auch ganz gut ohne diesen Antrieb vom Fleck" lachte ich und spürte die sanfte Berührung an meiner Schulter. Tayro war näher gekommen und ich sog seinen Duft in mir auf. Aufmerksam lauschte ich seinen Worten. "Das ist eine schöne Sicht auf den Tod. So sind die Toten trotzdem bei uns. Ich würd aber lieber glauben, dass alle dort sind, nicht nur die großen Alphas." Traurig musste ich an das Alphatreffen denken und an die Jungwölfe die gestorben sind. "Es wäre schön, wenn die Toten dort oben noch einmal eine Chance bekommen. Wer Fehler gemacht hat, soll es nun besser machen und wer nicht die Chance auf Leben hatte, soll es dort oben noch einmal leben." Meine Stimme war ruhig, klang jedoch traurig. "Ich bin ohne solche Geschichten aufgewachsen und manchmal wünschte ich, es wäre anders. Mir fehlt oft das Feingefühl um richtig im Rudel zu reagieren und oft frage ich mich, ob ich meinen Platz dort jemals finde."

Die stimmungsvolle Atmosphäre am See gefiel mir. Es war die richtige Entscheidung gewesen, an den See zu schwimmen und ich genoss die Nähe des anderen Wolfs. Ich mochte seine ruhige Stimme und blickte ihm direkt in die Augen, als er von meinem Platz im Rudel sprach. Unsicher erwiderte ich ihm: „Bist du dir sicher? Ich habe das Gefühl, dass du dich einfach perfekt eingefügt hast. Dein Auftreten, deine Taten. Alles passt. Während ich von einem Fettnäpfchen zum anderen stolpere. Ich hab es sogar geschafft die Worte der Alpha des Bergrudels anzuzweifeln.“ Eigentlich wollte ich nicht mehr an diesen Tag denken, aber ich wusste, dass mich der Braune nicht verurteilen würde. „Hätte Marek an diesem Tag dich mitgenommen, wärst du im Bergrudels positiv in Erinnerung geblieben.“ Meine Worte kamen ohne Groll, ich sprach mir einfach alles von der Seele. Der kühle Wind sorgte dafür, dass ich zu frösteln begann und ich rückte näher an den Wolf, schmiegte meinen Kopf in die Kuhle an seiner Kehle und seufzte leise. „Weißt du Tay... ich mag dich. Und warum auch immer mochte ich doch vom ersten Moment.“

Tayros Worte klangen so unheimlich ehrlich. Er schien wirklich daran zu glauben, dass ich meinen Platz im Rudel finden würde und schien sich auch nicht dafür zu schämen, dass ich nicht in einem Rudel aufgewachsen war. Seine Worte beruhigten mich und ich fühlte mich wie geerdet. Ein leiser Seufzer entfuhr mir. „Würdest du mir bei den Rudeldingen helfen?“ Ich bat nicht gern um Hilfe, aber bei ihm wusste ich instinktiv, dass er mich nicht auslachen würde.

Als der Rüde weiter sprach, stockte mein Atem und mein Herz setzte für eine kurze Sekunde aus. Hat er das gerade wirklich gesagt? Unsicher blickte ich nach oben, konnte aber nur die Unterseite des Mauls sehen. Am liebsten würde ich dem braunen Wolf in seine smaragdgrünen Augen blicken, doch mein Körper sträubte sich seinen Platz zu verlassen. Also kuschelte ich mich noch enger in sein nasses Fell, steckte meine Nase bis in die Unterwolle um wirklich Tayro zu riechen und nicht sein nasses Fell. Er macht sich was aus mir. Ich bin nicht eine von vielen. Ich bin nicht einfach nur ein Rudelmitglied, zu dem er freundlich ist. Meine Rute wedelte wie wild über den Sandboden und wirbelte den Sand auf, der vom leichten Wind erfasst wurde, sodass wir ziemlich schnell in einer Sandwolke saßen. „Ich war mir vom ersten Moment sicher, dass ich bei dir gut aufgehoben bin“ nuschelte ich in sein Fell. Doch dann zog sich ein Grinsen über mein Gesicht. „Auch wenn mir klar war, dass ich ganz gut auf mich selbst aufpassen kann. Aber dann kamst du um die Ecke und ich dachte mir - Ach, der Rüde hier braucht eine Aufgabe. Lässt du dich mal im Waldboden versinken!“ Ein Schaudern überzog meinen Körper. Jetzt konnte ich darüber lachen, doch eigentlich war diese Geschichte gar nicht lustig gewesen. Der Spuk hatte so schnell aufgehört, wie er auch angefangen hatte - aber wahrscheinlich hatte genau diese Geschichte uns noch enger gebracht.

Ich hatte eigentlich meinen Kopf unter Tayros Kehle hervorziehen wollen, um dem Wolf in die Augen zu blicken, als ich eine Bewegung seinerseits bemerkte. Ich hielt sofort in der Bewegung inne, erstarrte vor Schreck, als seine Zunge in einer sanften Bewegung über mein Ohr strich. Leise atmete ich aus, entspannte meine Muskeln. Tayro hatte mich überrumpelt, doch ich mochte diese Berührung und sehnte mich sofort nach mehr. Meine Gedanken fuhren mitsamt meinen Gefühlen Achterbahn und mir fiel es schwer, meinen Hintern am Boden zu halten. Am liebsten wäre ich fröhlich jauchzend durch die Gegend gesprungen, aber wahrscheinlich würde der Rüde mich dann für krank erklären und zur nächsten Heilerin bringen. Also zog ich vorsichtig meinen Kopf hervor und lächelte den Wolf an. "Das war schön," flüsterte ich verlegen. Bedeutet das nun, dass wir Gefährten sind? Müssen wir das dem Rudel mitteilen? Wird sich dadurch zwischen uns etwas verändern? Hoffentlich nicht. Ich mag doch das rumblödeln..... In meinem Kopf überschlugen sich die Fragen, auf die ich momentan keine Antwort hatte, die ich Tay aber auch nicht stellen wollte, um die Stimmung nicht zu zerstören.

Der leichte Nieselregen hinterließ ein Muster auf dem Silbersee, in dessen Glanz der Mond auf der Oberfläche tanzte. Durch den Mond war die Nacht hell erleuchtet, sodass ich mich kaum anstrengen musste um etwas zu sehen. Ich schüttelte meinen nassen Pelz, sodass die Wassertopfen nur so flogen und stecke dann meinen Kopf wieder in die Kuhle an Tayros Hals. Das könnte mein Lieblingsplatz werden, dachte ich verträumt und kuschelte mich näher an den Wolf heran. Ein Seufzen entfuhr mir, als mir bewusst wurde, dass wir nicht ewig auf dieser Insel bleiben konnten. Irgendwann mussten wir zurück und dann? Ich nahm mir ein Herz und stellte Tayro die Fragen, die mir auf der Zunge lagen. "Tay?" flüsterte ich leise. "Wie geht es mit uns weiter? Irgendwann müssen wir zum Rudel zurück.". Wenn es nach mir ginge, würde ich die Zeit anhalten. Wir würden einfach hier auf dieser Insel bleiben und unsere süßen Welpen großziehen. HALT! STOP! Welpen???? Acyra schnappst du jetzt komplett über? schimpfte ich mit mir selbst in Gedanken. Welpen???? Innerlich schauderte es mich. Gerade mit Welpen konnte ich noch gar nichts anfangen. Der braune Wolf verewirrte mich und meine Gedanken.

Immer noch in das braune, nasse Fell gekuschelt saß ich da. "Bei den Menschen wurde für uns entschieden, wer mit wem zusammen bleibt. Da ich aber hier und jetzt für mich selber sprechen kann, wünsche ich mir an deiner Seite bleiben zu dürfen." Meine Stimme war klar, aber leise und mein Blick wanderte hoch und suchte die Augen des Wolfs neben mir. "Was möchtest du denn?"

Ich merkte, wie die Anspannung in mir wuchs. Sollte Tayro das gleiche wollen, müssten wir ja wahrscheinlich auch Marek informieren. Würde er das gut finden?