Das Rebhuhn wog schwer in meinem Maul. Mein Nacken schmerzte bereits durch das ungewohnte Gewicht, doch ich lief eilig weiter, immer weiter dem Rudelplatz entgegen. Neugierig ließ ich meinen Blick schweifen und suchte meine Welpen. Flora lag noch an Ort und Stelle, ihr braunes Fell schien sich allmählich zu verdunkeln. Doch wo war Niak? Unruhig suchte ich den Rudelplatz ab, doch von meinem Sohn fehlte jede Spur. Mit einem dumpfen Ton ließ ich das Huhn fallen und drehte mich erschrocken um die eigene Achse. "Niak!!" Sorge schwang in meiner Stimme mit, als ich mit gespitzten Ohren umhereierte und meinen Sohn in den angrenzenden Gebüschen des Rudelplatzes suchte.

Etwas enttäuscht senkte sich meine Rute zu Boden und ich trottete los in Richtung Zuhause, aber dann hörte ich Mama meinen Namen Rufen .
MAMA, ich sprang mit einem riesigen Satz nach vorne und rannte zum Rudelplatz.
Schnell hatte ich die Meter hinter mich gelegt und schoss durch die Büsche. Ohne langsamer zu werden jagte ich über die freie Fläche und rammte meinen Kopf gegen ihre Brust. Ein leises Wimmern drang aus meiner Kehle, das ich nicht stoppen konnte. Die ganze Anspannung und Angst löste sich in nichts auf.

Gerade hatte ich meine Schnauze einem Busch entgegengereckt um Niak darin zu suchen, da drang seine Stimme an mein Gehör. Sofort sah ich auf und blickte in die Richtung, aus der sein Ruf gekommen war. Sein Tapsen wurde rasch lauter und plötzlich sprang er hervor, rannte immer weiter auf mich zu und schien nicht stoppen zu wollen. Meine anfangs wedelnde Rute kippte rasch nach unten und ich trat zögernd - aber zu langsam - ein paar Schritte zurück, ehe mir mein Sohn auch schon im vollen Lauf gegen die Brust raste und mir mit einem Schlag sämtliche Luft aus meinen Lungen drückte. Hustend wich ich zurück, stolperte dabei über meine Hinterläufe und fiel rücklings auf die Erde. Hechelnd drehte ich mich rasch auf den Bauch und sah Niak aus liegender Haltung etwas überrumpelt an. "Da bist du ja", presste ich hervor und leckte ihm rasch über die Wangen. Mühsam erhob ich mich und knuffte ihn sanft. "Ich hab dir was mitgebracht, mein Sohn." Die Standpauke würde ich mir für später aufheben, jetzt gerade war ich nur grenzenlos erleichtert, dass er da war.

Erst sah ich kurz mit schlechtem Gewissen zu meiner am Boden liegenden Mama herunter. Mein rechtes Ohr kippte entschuldigend zur Seite. Aber als sie sich wieder aufrichtete überwog die Erleichterung erneut und ich drückte mich nun sanfter an sie. Mama es tut mir leid, es war nur alles so spannend und und dann war ich im Wald und irgendwann an einem Fluss. Ich wollte gar nicht weg laufen. Sagte ich mit deutlicher Reue und durch meine Gedanken hatte ich ihren zweiten Satz gar nicht wahr genommen. Ich holte Luft und erzählte sofort weiter, und dann hab ich da gespielt aber irgendwann wollte ich nicht mehr aber ich hab mich verlaufen und nicht zurück gefunden. Da war dann dieser nette Wolf mit der Narbe auf der Nase, er hat mich zurück gebracht. Sein Name klang fast wie meiner, erzählte ich aufgeregt und kicherte dann.

Ich hatte ihn auffordernd angesehen, als ich auf das Rebhuhn hingewiesen hatte, doch offenbar hatte Niak einen ziemlich aufregenden Tag gehabt - jedenfalls schloss ich aus seiner Reaktion, oder besser gesagt: seiner ausbleibenden Reaktion.
Statt Neugier auf das Neue, reagierte er mit einer Flut aus Wörtern, die so schnell war, dass ich kaum richtig hinterherkam. Schmunzelnd fügte ich mich meinem Schicksal und hörte dem aufgeregten Geplapper des schwarzen Jungwolfes zu, während ich mich langsam und unauffällig dem Rebhuhn entgegenschob, welches ich vorhin fallen gelassen hatte. Meine Augen lachten über seine Worte, er war einfach so niedlich und mein Herz freute sich, dass er einen schönen Tag hatte - seine Entschuldigung hatte ich natürlich längst angenommen. "Achja?", fragte ich sanft, als ich endlich bei dem Rebhuhn angelangt war. "Wie war denn sein Name?" Es war eigentlich eine belanglose Frage, doch ich wollte Niak weiter reden hören. Meine Schnauze machte sich an dem Vogel zu schaffen, als ich die Federn rupfte.

Ich setzte mich hin und wedelte nun fröhlich mit der kleinen Rute.
Er hat gesagt er heißt Nikai und kommt von weit weg. Er hat an mir gerochen und sich ganz furchtbar erschrocken weil ich nach so vielen Wölfen rieche. Wegen dem Rudel und so. Ich wollte, dass er mit kommt aber er meinte nur , dass es nicht gut ist wenn man in fremde Rudel geht . Erzählte ich mit meiner welpenhaften Naivität und zuckte mit den Schultern. Dann bemerkte ich das Ding was Mama da hatte, was ist das. Fragte ich fröhlich und neugierig zugleich und schnupperte vorsichtig in die Richtung des seltsamen Tieres.

Kaum hatte Niak den Namen genannt, zuckte ich auch schon zusammen. Erneut fiel mir das frische Fleisch aus dem Maul und plumpste zurück auf die Erde, während ich wie angewurzelt in die Ferne starrte. Das-das kann nicht sein... Mein Körper begann zu zittern und ein kalter Schauder lief mir über den Rücken, gleichzeitig drohte mir mein Herz zu zerbrechen. Wie lange schon hatte ich diesen Namen nicht mehr gehört. Da-Das kann nicht Nikai sein...Nikai ist tot. Es muss ein anderer sein...genau! Langsam senkte sich meine Rute und ich versuchte meine Anspannung loszuwerden. Nikai hatte keine Narbe auf der Schnauze - es muss. jemand. anders. sein!
Heiße Tränen schienen stiegen in meinen Augen auf, doch ich wehrte mich gegen den Schmerz, der mich wieder einzunehmen drohte. Glücklicherweise kam Niak genau in diesem Moment von der Seite und begann den Vogel aus großen Augen neugierig anzustarren. Schnell lächelte ich und schob die Gedanken ganz weit nach hinten. "Das ist ein Rebhuhn. Wir Wölfe fressen Fleisch, weißt du? Eigentlich hättest du das schon viel früher lernen müssen, aber...naja. Probier mal." Sanft schob ich ihm den abgetrennten Flügel hin, den ich gerade abgerissen hatte und sah ihn auffordernd an. Ich glaubte nicht, dass ich ihm das Fleisch vorkauen musste, schließlich war er schon sehr groß.

Interessiert sah ich das Tier an, ich schnupperte und streckte meine kleine Zunge vor. Mamas Reaktion nahm ich gar nicht wahr, ich war viel zu neugierig und verstanden hätte ich sie vermutlich sowieso nicht.
Das essen wir ?, fragte ich verwirrt und tatschte mit einer Pfote danach. Ich legte den Kopf schief und streckte dann mutig meine Nase nach vorne um ein Stück zu fressen. Vorsicht biss ich darauf herum, ließ die ungewohnte Konsistenz auf mich wirken und wedelte dann zaghaft mit der Rute. Mein Magen gab ein zustimmendes Knurren von sich und ich tat ihm den Gefallen und schluckte das Fleisch herunter. Dann fraß ich noch ein kleines Stück und sah zu Mama hoch, das war lecker . Ist dass das einzige was wir essen ? Wie bekomm ich das ?, versuchte ich meine Kindliche Neugierde zu stillen. Hat Flo schon probiert?, fragte ich aufgeregt und sah mich nach meiner Schwester um.

Ich beobachtete Niak mit einer Mischung aus Neugier und Nervosität. Seine Art, wie er auf das Fleisch zutrat und es probierte - es erfüllte mich mit Freude und Zufriedenheit. So gelassen wie möglich setzte ich mich hin, auch wenn es mir sehr schwerfiel. Seit der Name aus Niaks Maul kam, verspürte ich eine tiefe Sehnsucht. Es war kein Schmerz mehr, es war der innige Wunsch, dass es wahr sein könnte. Seufzend versuchte ich mich abzulenken und blickte zu diesem Zweck zurück zu meinem Sohn, der soeben eine Frage an mich gerichtet hatte und mich nun mit einem treudoofen Blick ansah. "Nein, das ist nicht das einzige", versuchte ich ihm zu erklären. "Schau, im Wald sind viele dieser Tiere. Noch laufen sie umher, wir müssen sie fangen um zu fressen und zu überleben." Nachdenklich sah ich ihn an, folgte dann seinem Blick zu Flora. "Bislang nicht, sie schläft noch."

Meine Augen wurden groß, wir fangen sie also um selbst zu überleben ? Also ist es dann okay das Tier zu fangen?
Wann darf ich es ausprobieren?. Meine Rute wischte über das Gras am Boden und ich stand auf. Dann beugte ich meinen Oberkörper nach unten wie zum spielen und wackelte mit meinem Hinterteil.
Ich sprang von links nach rechts und knurrte dann leise, tatschte das Rebhuhn fast wie eine Katze immer mal wieder mit der Pfote an.