Meine Ohren zuckten verräterisch, als ich seine Ansprache vernahm. Ich...ich bilde mir doch nichts darauf ein!, schrie etwas in mir drin und wollte unbedingt nach draußen dringen. Meine Ehre und mein Stolz fühlten sich verletzt und angeknackst und ließen meine Beherrschung bröckeln. Ich wollte mich verteidigen und die Worte zurücknehmen, die ich gerade ausgesprochen hatte. Ich war kein eingebildeter Alphassohn und ich war auch nichts Besseres. Doch der Rüde drehte es so, sprach es aus und traf mein Ehrgefühl empfindlich. Keine zwei Minuten später war er auch schon viel zu dicht vor mir und rammte mir seine Zähne in den Nacken. Der Schwung riss mich von meinen Pfoten, doch ich hatte mit einem solchen Angriff gerechnet und rollte mich geschickt ab, um auf dem Rücken liegen zu bleiben. Alle Wölfe zielten entweder auf die Kehle oder den Nacken ab! Immer!
Wohl oder übel würde er mich loslassen müssen, damit er nicht seine Kiefer unter meinem Körper begrub und dann würde ich versuchen ihm meine Pfoten gegen die Brust und den Hals drücken, damit er nicht einen erneuten Biss in der empfindlichen Region meines Halses landen konnte. Ich spürte die Wärme seines Fells über mir und drückte ihm mit aller Kraft meine Hinterbeine in den Unterleib. Meine Kiefer waren vor Anstrengung fest aufeinander gepresst und man hörte nicht viel mehr, als das Schnaufen und Knurren zweier Rüden.

Der Kleine war schneller und geschickter, als ich erwartet hätte. Als er auf dem Rücken landete, ließ ich seinen Nacken los, schmeckte aber den metallischen Geschmack von Blut. Herrlich! Erneut meldete sich mein Magen und gab mir bekannt, welch einen Hunger ich doch hatte. Alle vier Pfoten des unter mir liegenden Rüden pressten sich gegen meinen Körper. Die Vorderpfoten drückten gegen meinen Brustkorb und die Hinterläufe in den empfindlichen Raum irgendwo bei meinen Darm - oder Magen. In wilder Wut gebärdete ich mich über dem Roten, wobei ich meine Vorderbeine anwinkelte und mich auf diese Weise komplett auf die Vorderpfoten meines Gegners stützte. So musste er mein volles Gewicht halten, wenn er nicht gleich meine Kiefer im Gesicht haben wollte, die vor seiner Schnauze auf und zu schlugen und dabei deutlich schäumten. Eine gute Methode, um seinen Gegner zu ermüden. Sabberfäden lösten sich und landeten links und rechts, doch ich fixierte mich ganz allein auf mein Opfer, welches unter mir lag und nur darauf wartete, gefrühstückt zu werden. Nicht zu vergessen der Dambock, welcher ein paar Meter von uns entfernt im Schnee lag.

Ich keuchte überrascht, als meine Beine eine schwere Last trugen und unter dem Gewicht merkbar zitterten. Ich sah die weißen Zähne des Fremden vor mir aufblitzen und spürte die kühlen Tropfen seines Speichels, welcher während seines wilden Gebärdens auf mich herabregnete. Durch das Gezappel des Rüden wurde die Last immer stärker und irgendwann nahm ich das letzte bisschen Kraft zusammen und drückte den Rüden hoch, um ihn von mir runter zu befördern. Durch den Druck würde er bei etwas Glück ein Stückchen segeln, doch ich konnte nicht dafür garantieren. Meine Vorderbeine fühlten sich taub und schwer nach der plötzlichen Kraftanstrengung an und ließen mich vielleicht etwas langsamer werden.

Es war eine schnelle Aktion, doch sie ermüdete mich kaum. Der Rüde hatte offenbar mehr Kraft, als ich ihm zugetraut hätte, doch das hatte ich ja nun schon ein paar Mal gemerkt. Ich flog ein oder zwei Meter und schlug hart auf. Doch ebenso schnell war ich wieder auf den Beinen und stürzte mich erneut auf den Rüden, welcher wohl noch auf der Erde lag. Mein schäumendes Maul und meine aggressiven Augen ließen die Ähnlichkeiten zu einem Psychopathen wahrscheinlich stark wachsen.

Es war nur eine kurze Pause, da war der Fremde wieder da und stürzte sich zielsicher auf mich. Doch dieses Mal war ich schneller und konnte mich hastig aus seiner Zone retten. Kurz sah ich ihn unschlüssig an. Ich erinnerte mich an den Kampf mit Kobalt. Es war vielleicht damals nur ein Spiel, doch ich erinnerte mich an die lehrreichen Lektionen. Manchmal ist Flucht die beste Verteidigung, dachte ich und sprang los, als der Rüde einen erneuten Angriff startete.

Der Rüde erhob sich rasch und sprang zur Seite. Ich traf hart auf die Stelle auf, an der er eben noch lag und auf der man einen kleinen Abdruck, sowie ein paar Fellbüschel erkennen konnte. Sofort sprang ich ihm rasend hinterher, doch erneut entwischte er mir. Es war unglaublich provokant und so war es kein Wunder, dass ich auf seine Spielchen einging. Ich war ganz im Mördermodus, einen Ausweg gab es nicht mehr. Ich wollte den Rüden leiden und sterben sehen. Meine Pfote machte mich rasend und ließ meine Aggression mit jeder verstreichenden Sekunde wachsen. Na warte, du kleiner Giftmolch!

Immer wieder entsprang ich ihm. Es war wie ein Spiel und ich erinnerte mich, dass ich diese Taktik mindestens einmal bei Kobalt angewendet hatte - nur dass es damals zwei Sekunden dauerte. Doch hier war es bittererer Ernst und ich wusste, dass ich mir keine Fehler leisten konnte. So ließ ich den Rüden weiterhin hinter mir herspringen, immer im Kreis, um die Beute herum, die das Zentrum unseres kleinen Krieges war. Unauffällig zog ich dabei die Kreise enger. Ich hatte längst das Hinken und die Verletzung bemerkt und musste sie nun zu meinem Vorteil nutzen. Wie ich das anstellen sollte? Keine Ahnung. Ich folgte einfach meinen Instinkten und versuchte die anhaltende Panik zu unterdrücken, die mein Herz rasen ließ und aus den Schmerzen der Erschöpfung resultierte, die ich dank der schlauen Taktik meines Angreifers eingesteckt hatte. Meine Vorderbeine schmerzten und machten mich verletzbar. Und das war meine allergrößte Angst. Meine Zunge hing mir vor Anstrengung aus dem Maul, doch ich kämpfte tapfer weiter. Ein Fehler, einmal stolpern und ich bin tot.

Immer weiter folgte ich dem kleinen Rüden. Ich war kaum erschöpft, doch ich spürte, dass es meinem Opfer anders erging. Die Taktik mit dem Gewicht hatte sich doch schon immer bewährt. Voller Genugtuung sah ich die heraushängende Zunge des Kleineren und versuchte mein Tempo zu drosseln. Der Kleine war unerfahren und litt jetzt schon unter den Qualen der Erschöpfung. Lass ihn leiden, dachte ich hämisch. Meine kleinen Augen funkelten boshaft und gaben meinem irren Blick einen völlig neuen Ausdruck. Meine Sprünge wurden kleiner, auch weil sich der Umfang der Kreise, in denen der Rote herumsprang, verkleinerte. Ich schob es auf die Erschöpfung und die daraus entstehende Unaufmerksamkeit.

Ich bemerkte, wie der Rüde langsamer wurde, doch ich ging nicht darauf ein. Ich gab mich der wohltuenden Geschwindigkeitsdrosselung nicht hin, sondern kämpfte mich weiter, bis der passende Zeitpunkt gekommen war. Der Rüde hatte sich selbst überstrapaziert, nur noch auf mich geachtet und meine Taktik dabei völlig außer Acht gelassen. Meine Kreise wurden enger, bis ich mich nur noch zur Seite drehen und den Rüden kraftvoll von der Seite anspringen konnte. Größe ist eben nicht alles, dachte ich triumphierend. Es war nicht schwer den wilden Rüden auf die Erde zu drücken. Eine Hinterpfote stand auf seinem Bauch, die andere fest auf der Erde. Meine beiden Vorderpfoten drückten seinen Brustkorb auf den Boden. Aus dem Winkel konnte er mit seinem reißenden Zähnen weder meinen Kopf, noch meine Pfoten erreichen, seine Hinterbeine traten immer nur ins Leere und die Wolfskrallen konnten mit ihrer Beschaffenheit zum Graben ohnehin keine Wunden reißen. Mein Blick war angespannt und konzentriert, während meine Lefzen einen guten Blick auf meine Zähne zuließen.

Ein Schrei puren Hasses und Wut verließ meine Kehle und verklang ohne Antwort im Wald. Immer wieder bäumte ich mich unter dem Gewicht des Jüngeren auf, doch das Treiben und im Kreis rennen hatte mich zu stark ermüdet. Mein irrer Blick konnte sich nicht fixieren, sondern irrte mit einem Ausdruck von Panik und Hass umher. Meine Schnauze riss sich immer wieder auf und schnappte nach Kehle und Schnauze meines Gegners, doch ich war zu schwach und konnte mich kaum bewegen. Meine struppige Rute zuckte und wischte den Schnee auf, während meine Pfoten immer wieder nach dem Roten traten - ohne Erfolg. Dennoch konnte ich die Bewegungen nicht einstellen. Das Gefühl von Gefangenschaft und Schmerz saß tief und ließ meine Gedanken haltlos umhertreiben.

Zuerst wartete ich, doch der Rüde beruhigte sich nicht und sein Schrei ließ kurz einen scharfen Schmerz durch mein empfindliches Gehör ziehen. Mitleidig sah ich auf das verwahrloste Wesen herab, welches sich einfach nicht beruhigen konnte. Anfängliche Beruhigungsversuche scheiterten, doch schließlich schrie ich dem Rüden ein lautes und verzweifeltes: "Jetzt beruhige dich endlich!" entgegen.

Ich konnte nicht aufhören. Seine mitleidigen Blicke, diese ganze rote Visage, die dem Sohn eines Alphas gehörte, ließ mich aggressiver und wütender werden. Sein Schrei zeugte nur so von Verzweiflung und ließ mich fast kotzen. Zwar verharrte ich kurz und sah den Rüden teilnahmslos an, doch dann biss ich die Kiefer zusammen, ließ ein bedrohliches, langgezogenes und lautes Knurren ertönen und bäumte mich auf. Meine ganze Kraft fuhr in meinen Körper, meine Muskeln zogen sich mit einer schnellen Bewegungen zusammen und spannten sich im nächsten Moment an. Meine Kiefer schnellten plötzlich auseinander und rasten nach oben...

Kurz glaubte ich erleichtert etwas bewirkt zu haben, doch im nächsten Moment rissen sich meine Augen vor Unglauben auf. Ich hatte den Rüden zwar fast besiegt, doch reichte das offenbar nicht. Ich sah die Kiefer auf mich zuschnellen, spürte wie sie meine Kehle umschlossen und zudrücken wollten. In letzter Sekunde riss ich meinen Kopf nach oben und sprang instinktiv zurück. Die scharfen Reißzähne zogen sich über meinen Hals und rissen diese leicht auf, doch sie verletzten ansonsten nichts von meinen inneren, lebenswichtigen Funktionen - wie meiner Kehle. Dennoch zog sich ein Rinnsal von Blut an meinem Hals entlang und vermischte sich mit dem natürlichen Rotbraun meines Fells. Und der Rüde stand mir plötzlich wieder direkt gegenüber.

Ein Anflug von Triumph und im nächsten Moment das Gefühl der Niederlage. Es ließ meine Gefühle so schnell kippen, dass es meinen kompletten Geist durcheinander brachte. Fast. FAST hätte ich dieses abscheuliche Wesen besiegt, doch dann war es mir wieder entwischt. Mit einem Aufschrei der puren Wut stürzte ich mich auf meinen Gegner, fast blind und kopflos vor Aggressivität. Ich wollte das nicht akzeptieren. Noch nie hatten mir Wölfe so lange standgehalten. Doch seit ich in diesem Tal war, hatte ich nicht mehr anständig gemordet und nun sollte ich gegen einen kleinen Jungwolf verlieren!? Nein! Niemals! Rasend vor Wut und zitternd vor Anspannung stürzte ich mich auf mein Opfer. Er würde leiden! Hier und jetzt. Vorbei mit irgendwelchen schnellen Bissen, jetzt sollte er die Qual zu spüren bekommen!

Ich sah die Veränderung im Blick des Rüden. Es war nicht nur Irrsinn und Aggressivität - da war noch etwas anderes. Etwas, was mir ungemein viel Angst machte. Ein hohes Winseln entfuhr mir und ich wich kurz vor ihm zurück. Der Rüde sprang mich an und drohte mich wieder von meinen Pfoten zu reißen. Ich riss meine Kiefer auf und fiel hart auf die Erde. Ich spürte diesen Biss in meiner Schulter. Ich spürte, wie er daran zog. In einem panischen Akt biss ich um mich, bis ich plötzlich einfach nur noch irgendwas zwischen meine Zähne bekam und zubiss. Ich hörte ein lautes Winseln. Dann erschlaffte der Körper und fiel von mir ab.

Keuchend sah ich auf. Der Rüde lag neben mir. Narben über Narben und eine Bisswunde am Hals, die sich rötlich verfärbte. Winselnd sprang ich auf und nahm auf der Stelle Abstand. Der Rüde - er bewegte sich nicht mehr. Meine Ohren pressten sich in mein Fell und meine Rute zog sich ein. Mein Körper zitterte. Sein wahnsinniger, mordlüsterner Blick, mit dem er auf mich losgegangen ist - jetzt sein Tod. Das war zu viel.

Ängstlich lief ich im Kreis, folgte den Pfotenspuren, die durch den Kampf entstanden waren. Ich lief zitternd zu meiner Beute, dann wieder zurück zur Leiche des brauen Rüden. Doch wenige Meter von ihr entfernt, blieb ich stehen. Ich konnte mir die Leiche nicht ansehen. Es war zu viel. Ich schmeckte das Blut an meinen Lefzen und auf meiner Zunge. Ich wollte das doch nicht! Mein Kopf ratterte, dann neigte ich in einer Kurzschlussreaktion meinen Kopf in den Nacken und schickte ein lautes, hohes und absolut panisches Heulen an mein Rudel.