Das habe ich mir fast gedacht! Keine Lungenentzündung - gut! Aber eine fiebrige Erkältung oder Grippe also!
Da gab es hier sehr gute Heilmittel in der Gegend.
Warte bitte einen Moment hier, junge Dame! Ich hole dir rasch etwas gute Medizin!
Dann lief ich zum Bach, wo ich den unübersehbar hohen Wasserhanf gesehen hatte-ein bewährtes Mittel gegen jede Art von Erkältung und auch gegen so manches Fieber. Ich "fällte" eine Pflanze und nahm sie mit. Aus einem der Gärten grub ich eine Taigawurzel aus, ein berühmtes Heilmittel aus meiner Heimat, das die Körperkräfte stärkte, Fieber verringerte und besonders bei fiebrigen Erkältungen effektiv war. Die Pflanze war klein und unscheinbar und die Wurzel auch. Aber ihre Kräfte waren sehr stark und obendrein gesund. Man konnte sie problemlos auch dann essen, wenn man nicht krank war- ein natürliches Stärkungsmittel.
Ich erinnerte mich wehmütig daran, wie meine Gefährtin und ich uns immer wieder gerne und ausgiebig darüber gestritten haben, welche Wunderwurzel besser war: Taigawurzel aus meiner oder Ginsengwurzel aus ihrer Heimat.
Als ich zurück zu meiner Patientin kam, gab ich ihr zuerst die Wurzel.
Hier kaue die langsam, gut und gründlich! Du kannst das auch hinunterschlucken. Es schadet nicht und ist sehr gesund. Es gibt dir Kraft und schmeckt nicht mal schlecht.
Dann zerrupfte ich den Wasserhanf und zerkaute ihn ebenfalls-den Stengel. Die Blätter zerrupfte ich nur und vermischte sie mit dem Stengelbrei.
Warte ein paar Minuten, dann iß´diesen Brei und die Blätter, meinte ich.
Da vorne ist ein kleiner Bach. Da kannst du hinterher etwas trinken.

Ich fühlte mich überfordert und sah ihn skeptisch an. All diese Dinge...
Vorsichtig schnupperte ich an der Wurzel bevor ich anfing zu kauen. Sie schmeckte für mich irgendwie nach gar nichts, trotzdem kaute ich weiter.
Nach einer Weile spukte ich den zerkauten Brei aus und machte weiter wie gefordert.
Dann sah ich ihn abwartend an. Durst hatte ich keinen.

Ich sah, was die junge Fähe tat und schüttele den Kopf.
Die Wurzel muss in deinen Körper. Du musst sie schon essen! Und danach bitte den Brei hier!
Ich sah sie nochmal an. Sie sah hungrig aus.
Ich fange dir auch eine Maus dazu, dann rutscht es besser! meinte ich und lächelte meine Patientin freundlich an.
Mäuse gab es hier massenhaft.

Ich setzte mein Vorhaben gleich in die Tat um.
Auch wenn ich nicht gerne jagte, war ich dabei doch recht geschickt und Mäuse zu fangen war wirklich nicht schwer. Eine Maus verfolgte ich in einen tiefer gelegenen Raum des Menschenbaus (Keller), wo es kühl und feucht war. Ein Teil der Wand war eingestürzt und von oben kam Sonnenlicht und frische Luft hinein. Auf dem steinigen Boden hatte sich Wasser angesammelt - vermutlich vom Regen und deshalb wuchs hier jede Menge dichtes Moos und auch Pilze. Die verlassene Menschensiedlung war wirklich eine wahre Fundgrube und ein idealer Platz für einen Heilerwolf.
Aber ob ich hier bleiben konnte?
Die junge Fähe war ängstlich. Sie hatte offenbar Angst vor den Rudelwölfen. Saikko hatte ja auch schon erwähnt, dass es Spannungen gab. Ich würde doppelt auf der Hut sein müssen. Auch als Heilerwolf durfte ich nicht wirklich hoffen, vor allen Anfeindungen hier geschützt zu sein.
Abwarten und Mäuse essen!
Ich sammelte drei Mäuse ein und brachte sie zu meiner Patientin.
Hier hast du! Lass´es dir schmecken! Du wirst sehen, bald schon geht es dir besser!

Die Wurzel essen? Ich nahm den brei wieder auf und schluckte wiederwillig. Kurz musste ich mich schütteln, das rutschte wie Staub die Kehle herunter. Dann fraß ich auch noch das andere. Muss ich noch weitere Kräuter fressen? fragte ich. Als er mit einer Maus ankam sah ich ihn dankbar an. Zum Glück...
Ich nahm die Beute dankbar entgegen.

Ich lächelte.
Nein, junge Dame! Das ist erst einmal genug. Vielleicht dasselbe noch einmal in zwei Tagen, wenn deine Krankheit hartnäckig ist, aber es wird schon besser. Als erstes werden die Kopfschmerzen verschwinden. Allerdings solltest du dich ein bisschen schonen und nicht unbedingt großer Nässe und Kälte aussetzen.
Verrätst du mir jetzt auch deinen Namen? Ich heiße Jukko.

Arctica
Ich heiße Arctica. antwortete ich ihm leise und senkte den Kopf. Ich war so müde... meine Augen fielen mir zwischendurch zu.

Die Heilkräuter begannen zu wirken.
Müdigkeit war ein gutes Zeichen. Der Schlaf würde der jungen Fähe Erholung und neue Kräfte schenken.
Ruhe dich aus und schlafe ein bisschen, kleine Schwester. Ich bewache deinen Schlaf. Morgen wird es dir schon besser gehen!

Als Arctica einschlief, vernahm ich plötzlich einen neuen Geruch nach Wolf.
Meine feine Nase verriet mir, dass dieser Wolf verletzt war.
Ohne zu zögern holte ich den Beinwell aus meinem Vorrat und begann ihn zu zerkauen.
Meine Nase hatte mir auch verraten, dass es sich nicht um einen Bergwolf handeln konnte. Außerdem war er allein.
Ich ging ihm ein wenig entgegen, damit Arcticas Schlaf nicht gestört wurde.
Dann sah ich ihn. Es war ein großer grauer Rüde, möglicherweise ein Nordlandwolf. Ich roch auch sein Blut.
He du! rief ich ihn an. Suchst du zufällig mich?
Vielleicht hatte mir ja Saikko einen Patienten geschickt.

Ohne festes Ziel trabte ich durch das Unterholz, bis ich schlagartig innehielt, als ich durch das Dickicht des Waldes festes Mauerwerk erspähte. Meine Nackenhaare sträubten sich und einen Moment lang war ich gefangen in den Erinnerungen an die Jäger, die mein Rudel abgeschlachtet hatten, bis meine Sinne wieder die Oberhand gewannen. Ich lauschte, beobachtete, schnüffelte. Keine menschlichen Stimmen, keine Bewegungen. Auch der so typische Geruch, den die Zweibeiner verbreiteten, schien längst verflogen. Langsam und wachsam zugleich, setzte ich meinen Weg fort, meine Beute weiter mit mir tragend, bis ich mich mitten in der Geisterstadt befand. Den Wind im Rücken, nahm ich den fremden Wolf nicht sofort wahr, weshalb mir die Überraschung deutlich ins Gesicht geschrieben stand, als ich ihn plötzlich vor mir sah. Ich erstarrte in meinen Bewegungen, ließ meine Beute zu Boden fallen und verengte argwöhnisch die Augen zu Schlitzen. Ein Rüde. Älter als ich - und ebenfalls allein. Seine ganze Körperhaltung drückte Freundlichkeit aus und doch blieb ich weiterhin reserviert. Ob ich ihn suchte? Nein. Lautete meine knappe und etwas irritierte Antwort. Wie ... wie kommst du darauf? Wartete er etwa auf jemanden? Mein Blick wanderte nach links und rechts, doch außer uns befand sich kein anderer Wolf auf dieser Straße.

Ich schmunzelte. Der große Wolf war selbstbewusst, aber nicht unfreundlich. Er würde jedenfalls nicht gleich davonrennen oder mich angreifen - hoffte ich.
Also da wären drei Gründe, die mir spontan einfallen, meinte ich.
Zum einen kommst du vom Bergrudel und willst mir an den Kragen. Da du aber nicht nach Bergrudel riechst, denke ich, können wir das ausschliessen.
Zum zweiten bist du ein Rüde und keine Fähe und ich bin bereits 8 Jahre alt. Diesen Grund können wir - denke ich - auch vernachlässigen.
Zum dritten bist du verwundet, riechst nach Blut und hast Schmerzen. Was also könntest du wohl von einem alten Heilerwolf wollen?

Nein, ich hegte tatsächlich nicht die Absicht, auf den Fremden Wolf loszugehen. Ich war in meinem Rudel zwar ein Krieger gewesen, aber nur, wenn es die Situation erfordert hatte. Davon abgesehen war ich niemand, der Streit suchte oder absichtlich provozierte. Du bist ein Heiler? Diese Tatsache ließ mich hellhörig werden. Zwar gab ich mir Mühe, mir nichts anmerken zu lassen, aber die Wunde an meiner rechten Hinterhand schmerzte bei jedem Schritt. Glücklicherweise befand sie sich an einer für mich leicht zugänglichen Stelle, sodass es mir bisher gelungen war, sie ausreichend sauber zu halten, damit sie sich nicht entzündete. Trotz allem war mir ein Heilwolf mehr als nur willkommen - was aber nicht hieß, dass ich ihm sofort mein Vertrauen schenkte. Bist du alleine? Oder gehörst du zu einem Rudel? Als allein umherwandernder, verletzter Wolf konnte man nicht vorsichtig genug sein, also konnte es nicht schaden, vorerst etwas vorzufühlen.

Ich seuftzte und antwortete wahrheitsgemäß:
Nein, ich bin ein wandernder Heiler und neu hier.
Warum war das immer die erste Frage, die sie hier stellen?
Ich heisse Jukko, fügte ich noch hinzu.

Raego. Antwortete ich nach einem kurzen Moment des Zögerns. Ich betrachtete den Wolf vor mir eingehend, während ich immer noch versuchte, abzuschätzen, ob ich ihm trauen konte oder nicht. Was verlangst du als Gegenleistung, wenn du dir meine Verletzung ansiehst? Fragte ich dann, wobei mein Blick ganz kurz zu dem Kaninchen wanderte, das ich bisher noch immer nicht angeührt hatte. Ich könnte dir die Hälfte meiner Beute anbieten. Lautete Mein Vorschlag. Mehr hab ich leider nicht.

Ich hatte geschlafen und es hatte sich so gut abgefühlt. Als ich aufwachte war Jukko weg und genauso meine Kopfschmerzen. Meine Nase lief noch. Verwirrt stand ich auf und tappte ein paar Schritte. Hallo? fragte ich. War er weggelaufen?