Da sich Sete in einem Engpass befand, war ich nicht dazu in der Lage besagten Rüden von meiner Position hinter ihr auszumachen. Dennoch konnte ich ihren Blick deuten und nickte. Meine Haltung wachsam. Von hier hinten würde ich nicht allzu viel ausrichten können, wenn Sete angegriffen werden sollte und während unseres Weges hierher hatte ich mich umgeblickt für eine Möglichkeit, wie ich der anderen Fähe in einem Notfall dennoch stehen könnte.
Davonrennen. Bei dem Gedanken übermannten mich kurz Erinnerungen an meine letzte Flucht: Einen Haken schlagend versuchte ich, aus der Einkesselung auszubrechen, in welche mich mein Rudel langsam, aber sicher hineinzwang. Sollte ich das nicht schaffen, war ich ihnen auf jeden Fall ausgeliefert. Ich floh weiterhin, merkte aber langsam wie die Erschöpfung immer mehr an mir zerrte und ich an Tempo verlor, meine Jäger noch immer dicht auf den Fersen. Ebenso daran, wie dieser Fluchtversuch gescheitert war: Ich wich aus und wehrte die Angriffe in einem letzten Aufbegehren so gut es ging ab, aber es waren zu viele und ich war mit meinen Kräften mittlerweile auch schon am Ende. Sie attackierten vor allem meine Schwachstelle, meinen Bauch wo meine Welpen heranwuchsen. Am liebsten wollte ich sie anflehen, wenigsten meine Kleinen zu verschonen, aber ich wusste, dass dieser Versuch zwecklos sein würde... Schnell schüttelte ich den Kopf. Würden diese Erinnerungen je aufhören, mich zu verfolgen? Aber die Situation war eine andere. Ich war nicht schwanger, nicht erschöpft, hatte nicht ein ganzes Rudel hinter mir her. Und ich war stärker, hatte trainiert seitdem. Mit diesem Gedanken blickte ich auf zu Sete: Ich bin eine passable Läuferin. Nach einer kurzen Pause fuhr ich fort: Und ja, ich bin bei dir.
Sobald ich Setes Ausruf vernahm, eilte ich an die ihre Seite und witterte. Mein Körper spannte sich im gleichen Moment an und mein Blick schnellte zu der anderen Wölfin. "Ja, das ist seine Fährte. Und sie ist noch relativ frisch." Schien, dass es sich bald herausstellen würde, ob der Rüde wirklich die Tollwut hatte oder seine irrsinnige Attacke gegenüber Nalu und Rebell einen anderen Auslöser gehabt hatte. Noch stand nichts fest. "Sollen wir nach Acyra und Lyvianne heulen, um ihnen mitzuteilen, dass wir seine Spur gefunden haben?" Ich hielt für einen Moment inne, bevor ich fortsetzte: Andererseits würden wir ihn damit eventuell auch alarmieren." Je nachdem, ob er realisieren würde, dass der Ruf seinetwegen ausgestoßen wurde. "Vielleicht zuerst einmal der Spur ein wenig folgen, um ein Bild davon zu kriegen, wohin sie uns führt."
Ich war stehen geblieben und blickte die Felsenwände empor. Erst als Sete anfing zu sprechen, wandte ich mich zurück an sie. "Wenn er vorhin noch auf eurem Rudelplatz war, sollte er nicht allzu weit gekommen sein." Meinen Kopf zum Boden senkend, begann ich zu wittern, bevor mich wieder aufrichtete. "Hier ist schonmal keine Fährte. Sollen wir uns auf beide Seiten der Felsenwände aufteilen. Wir würden uns nicht zu weit voneinander entfernen, da der Bereich zwischen ihnen übersichtlich ist."
Am Rudelplatz blieb ich stehen und überließ Lyvianne das Reden, während ich am Boden schnüffelte. Ich konnte den Wolf auf jeden Fall riechen. Auf die kurze Begrüßung einer der Fähen, entgegnete ich ihren Gruß mit einem "Hi.", bevor ich mich wieder auf das eigentliche Thema fokussierte. Der Fremde war also aufgewacht. Hatte aber allem Anschein nach niemanden sofort attackiert, wie es bei Nalu und Rebell der Fall gewesen war. Ein anderer Bergwolf machte sich daran, Apollo - auch einer der Bergwölfe, wenn ich es richtig verstanden hatte - zu folgen - in die Richtung in die auch die Fährte des 'wahnsinnigen Wolfes' führte. Ich blickte ihm kurz hinterher, bevor ich mich wieder an Lyvianne wandte: "Sollen wir ihm folgen?"
Ich tauschte einen angespannten Blick mit Acyra aus, bevor ich ohne ein weiteres Wort der Alphawölfin folgte. Währenddessen überschlugen sich meine Gedanken. Der Wolf war in ihrem Lager. Das war keine gute Nachricht. Hoffentlich war nichts passiert. War der Rüde bei Bewusstsein? Wenn ja und wenn er wirklich Tollwut hatte, konnte das übel enden.
Ich überlegte einen Moment. "Nalu nach hatte er auch Narben im Gesicht." ergänzte ich danach die Beschreibung, bevor ich zu Acys Worte nickte. Es wäre besser für alle Partien, wenn dieser Wolf sich nur kurzfristig im Revier der Bergwölfe aufgehalten hatte.
Ich wedelte ebenfalls kurz mit meinem Schwanz und neigte mein Haupt vor der fremden Wölfin, bevor ich ihren Blick entgegnete. "Hi." Acyra neben mir schwieg, weswegen ich nach einem Moment fortsetzte: "Wir sind der Fährte eines Rüden gefolgt, der zwei unserer Rudelmitglieder angegriffen hat. Sie hat uns hierher geführt." Ich sorgte dafür, dass meine Stimme ruhig und sachlich blieb, da meine Worte nicht als Anklage oder Verdächtigung gemeint waren, sondern als bloße Aussage. "Könnt ihr uns vielleicht weiterhelfen?"
Während sich Acyra voll und ganz auf die Fährte konzentriert hatte, war ich durchgehend wachsam geblieben. Bislang hatte ich keine Gefahrenquelle ausfindig machen können, was gut war, dennoch, lieber auf Nummer sicher bleiben. Dieser Geruch... wir befanden uns im Gebiet der Bergwölfe, richtig? Bisher hatte ich noch nie viel Kontakt mit ihnen persönlich gehabt, außer vielleicht ein paar Mal, wo sich unser Weg in den freien Gebieten gekreuzt haben könnte. Ich blieb neben meiner Freundin stehen, aufmerksam, und wartete mit ihr auf eine Reaktion der Bergwölfe.
Ich schüttelte den Kopf auf ihre Antwort, die Augenbrauen leicht zusammengezogen. "Nein, tue ich nicht." Dann machte ich eine kurze Pause und schnüffelte noch einmal kurz - konnte den leichten Geruch von Blut ausmachen - bevor ich weiterredete: "Aber wenn hier der Kampf stattgefunden hat, ist anzunehmen, dass das die Fährte von dem fremden Wolf ist, den wir suchen."
Stunden - okay, wahrscheinlich Minuten, aber es kamen mir wie Stunden vor - verstrichen, in denen ich die verschiedensten Gerüche und Fährten aufschnappte, aber nicht jene, die ich suchte. Frustriert blieb ich für einen Moment stehen und mein Blick glitt zu dem bewölkten Himmel. Bisher war es trocken geblieben, doch es würde so viel schwieriger werden, sobald Regen fiel. Ich konzentrierte mich wieder auf das Flussufer vor mir. Irgendwo musste doch eine Fährte von Rebell und Nalu sein, schließlich waren sie von hier zum Rudelplatz gekommen. Und während ihr Geruch an sich wahrscheinlich schon sehr schwach war, konnte das Gleiche nicht unbedingt für das Blut gesagt werden. Rebell war verletzt worden und es war keine kleine Wunde gewesen. Es würde mich nicht wundern, wenn es noch irgendwo Blutspuren gab, wo der Kampf stattgefunden hatte. Mit diesem Gedanken setzte ich mich gleich wieder in Bewegung. Nachdem ich mich ein ganzes Stück weiterbewegt hatte, wurde ich endlich fündig. Hier! Das war eindeutig Rebells Geruch und nicht ganz so stark konnte ich auch den von Nalu ausmachen. Sofort hob ich wieder den Kopf und wandte mich zu meiner Freundin auf der anderen Flussseite. "Acy! Hier."
Nachdem Acyra unversehrt auf der anderen Uferseite angekommen war, kreuzten sich unsere Blick und ich nickte ihr zu, bevor ich wie sie versuchte, eine Geruchsfährte von entweder Rebell oder Nalu zu erschnüffeln. Währenddessen rief ich mir auch nochmals das Aussehen des fremden Rüden ins Bewusstsein. Hoffentlich würden wir fündig werden. Der Gedanke, ohne irgendwelche Hinweise zum Rudelplatz zurückzukehren, gefiel mir nicht.
An diesem Vorschlag hatte ich nichts auszusetzen. Wir wären immernoch nah genug, dass wir uns ohne Probleme verständigen konnten, sollte eine von uns auf einen Hinweis stoßen. "Das können wir gerne so machen." Die andere Wölfin wirkte, als ob sie gleich am liebsten in das Wasser waten würde und ich schmunzelte leicht bei dem Anblick. "Lass mich raten, du willst diejenige sein, die den Fluss überquert?"
Ich nickte ihr zu. "Ja, das ist wohl der beste Weg." Und sollten wir auf diesen Weise nicht fündig werden, blieb uns immer noch die Option, uns bei anderen Wölfen anhand der Beschreibung zu erkundigen. Aber vielleicht war das auch gar nicht notwendig. Wie auch Acyra schnupperte ich weiterhin in der Luft, um zu versuchen, den Geruch von Nalu oder Rebell ausfindig zu machen, so schwach er mittlerweile auch sein konnte. "Hier rieche ich nichts. Sollen wir uns flussab- oder flussaufwärts weiter bewegen?"