Das hat mir noch nie jemand gesagt... Je mehr ich versuchte, mich von ihren komplimentierenden Worten zu entfernen, desto stärker krallten sie sich in mein Gedächtnis. Und das, obwohl ich sie absolut lächerlich fand. Zumindest redete ich mir dies ein.
Wie sahen meine Augen überhaupt aus? Welche Farbe hatten sie? Ich konnte mich nicht daran erinnern, je meine Iriden genauer betrachtet zu haben. Konnten sie tatsächlich dem Ausdruck "schön" gerecht werden? Ich wusste es nicht, konnte es nicht einschätzen; noch nie hatte mir jemand sowas zugesprochen. Meiner Schwester schon – die hatte sich in Schmeicheleien baden können. Sowohl von Vaters Komplimenten als auch von sämtlichen Rüden. Aber im Grunde genommen vom gesamten Rudel.
Unbewusst krallte ich meine Klauen in die lockere Erde. Ich verwettete meine rechte Hinterpfote darauf, dass auch Pamina ständig ein Meer aus schmeichelnden Anmerkungen einstecken durfte.
Als hätte ich sie mit meinem Gedanken angesprochen, durchbrach die helle Wölfin auch gleich meine fernen Sinne.
„Das stimmt“, entgegnete ich trocken, ohne mich zu ihr umzudrehen.
Und hatte ich auch nicht vor. Der Satz lag mir bereits im rohen Ton auf der Zunge, doch irgendetwas in mir hielt mich zurück und ließ die Worte lediglich in meinem Kopf ausklingen.
„Keahi“, murmelte ich und kullerte mich enger zusammen.

Mein linkes Ohr zuckte bei ihren Worten. Ein weiteres Kompliment – doch diesmal tat ich mich nicht schwer, darüber hinwegzusehen. Im Gegenteil, es wehte ungerührt an mir vorbei und löste bloß Argwohn gegenüber der Ehrlichkeit ihrer Bemerkung aus. Eher machten sie mir den Eindruck, nichts weiter als Floskeln zu sein. Etwas, das man aus vornehmen Reflex sagte, aber nicht unbedingt so meinte. Vielleicht war auch das vorhin nicht mehr als leere Höflichkeit gewesen.
„Okay, hör zu.“ Ich befreite mich aus meiner Liegeposition und wandte meinen Blick endlich wieder @Pamina zu. „Ich brauche deine Kompliment nicht, verstanden?“
Ich schwieg, schaute ihr tief in die Augen. Beige – beige Iriden, ein Hauch von Sonnenlicht. Wie Sand, wie Sandstein im Schimmer der Wolkenlosigkeit. Wärme, die einen das Herz entfrostet und die Sinne mildert. Ich sah meine Schwester, tollend im Glanz der Sonne. Sie lächelte mir zu, ich tat es ihr gleich – das erste und letzte Mal. Ich blinzelte das wohlige Bild linden Sommers fort.
„Ich sollte gehen.“ Dieser Entschluss war derart abrupt von mir, dass ich selbst innehalten musste. Hatte ich es laut ausgesprochen? Ich war mir nicht sicher. Doch der Wille zerrte an mir. Mein Blick schweifte von Paminas Augen hinüber nach draußen. Es hatte zu schneien begonnen, luftig leichte Flocken schwebten zu Boden, schmolzen oder blieben bestehen – je nach dem, ob sie bleiben oder gehen wollten.
Im nächsten Moment zwängte ich mich aus der Kuhle, spürte den sachten Wind mein Fell durchwehen. Ich sollte gehen, schwebte meine eigene Stimme wiederholend durch den Kopf. Ich war nicht hier, um mir Kumpanen zu machen oder Beziehungen zu pflegen oder mich um irgendwen zu scheren. Ich war hier, um zu vergessen – um meine eigenen einsamen Pfade anzutreten, nicht um sie zu teilen. Irgendwann musste der Schlussstrich gezogen werden; und dieses Irgendwann war jetzt.
Meine Pfoten setzten sich in Bewegung – kein Wort, kein Blick zurück. Ich war mein; mein eigener Impuls und Verstand. Niemand sollte dazwischentreten oder mich meiner Abgeschiedenheit berauben. Es wurde Zeit, endlich wieder nach meinen Vorstellungen zu laufen, endlich wieder mein Spiel zu spielen. Das Spiel der Einsamkeit.

Die weichen Flocken legten sich auf mich nieder, kühlten meinen Körper; jedoch auf angenehme Weise. Vermutlich galt der Winter nicht als meine liebste Zeit des Jahres, und doch war der Schnee so viel angenehmer als der Regen.
Paminas Rufen kam mir zu Ohren, aber ließen sie mich nicht beirren. Meine Pfoten folgten starr ihrem namenlosen Weg, wollten ihre eigenen Abdrücke in die Welt setzen. So wie es für sie geläufig war, so wie sie es gewohnt waren.
Was los ist? Nichts. Du lernst mich nur gerade von meiner üblichen Seite kennen. Die der Einsamkeit. Und die hätte Pamina schon viel früher kennengelernt, wäre sie nicht derart hartnäckig gewesen, mir zu folgen. Aber damit war Schluss. Ich war nicht dafür gemacht, in irgendwelchen Bindungen zu leben. In all der Zeit der Unabhängigkeit hatte ich viele individuelle Artgenossen getroffen – manche angenehmer als andere. Doch hatte ich daraus je etwas Größeres gemacht? Nein. Denn all das war ohne jegliche Bedeutung. Genauso wie die Bekanntschaft mit Maugrim oder Pamina.
Verächtliches Schnauben reagierte auf den letzten Vorwurf der Wölfin. „Ohh, du hast absolut keinen Schimmer, was ich alles kann“, giftete ich amüsiert. Wenn ich gehen wollte, dann ging ich. Abhalten konnte man mich nie – nicht mit Worten, nicht mit Krallen.

Paminas Stimme wurde weder leiser, noch entfernte sie sich. Die Wölfin musste mir weiterhin gefolgt sein; und wieder fragte ich mich, wieso. Wieso ließ sie es nicht einfach bleiben?
„Das ist der größte Bullshit, den ich je gehört habe.“ Nun konnte ich mich tatsächlich nicht mehr vom Lachen abhalten und feixte abfällig. Ich und nett – das waren nun wirklich zwei gänzlich verschiedene Universen. Pamina hatte wohl eine Vorliebe dafür, völlig entgegengesetzte Sachen zusammen in einem Satz zu benutzen. Keine Ahnung, was Pamina dachte, aber ich war zweifellos keine von den Fellbällen mit harter Schale und weichem Kern. Bei mir war nichts flaumig, sanft oder wollig und dabei sollte es auch bleiben.
„Wieso sollte ich so etwas brauchen? Wen hat das je weitergebracht, huh?“ Mein Plan durchs Leben bestand lieber aus Kraft und Eifer. „Herz auf der Zunge – was für ein Schwachsinn.“ Was sollte das überhaupt bedeuten? Um mein Herz auf der Zunge zu tragen, musste ich es erst einmal ausgraben und zu Wort kommen lassen. Doch wieso hätte ich das nötig? Ich hatte meinen Kopf, meinen Verstand, meine Intuition – dies reichte, um den Willen durchzusetzen. Für irgendein albernes Herz war dort kein Platz.

Ihre Worte, ihre Sehnsucht, ihr Ton. Es hörte sich schrecklich an. So schrecklich vertraut. Es klang nach mir, nach meinem tiefen Selbst, meinem stillen Schrei, als mein eigener Vater mir den Rücken zukehrte. Wie sehr hatte mein Inneres daran gezehrt, ihn nicht gehen zu lassen. Ihn bei sich zu haben, trotz der Erbitterung, die uns trennte, trotz der Verachtung, die ihn prägte. Wie sehr hatte ich das gehasst – ihn, sein Fortgehen und dieses Gefühl, ihn dennoch bei sich haben zu wollen.
Ich biss die Kiefer aufeinander, wütend darauf, dass ich insgeheim elend nach ihm gefleht hatte. Genauso wie ein erbärmlicher Welpe. Genauso wie Pamina jetzt.
„Und ich möchte, dass du gehst.“ Meine Worte waren nichts als ein Zischen. Was war daran so schwer zu verstehen? Vielleicht sprach ich anders? Vielleicht sprach ich ja urplötzlich die Sprache der Kaninchen und Pamina konnte mich deshalb nicht verstehen. Wie schwer konnte es schließlich schon sein, meine Forderung zu hören, zu verstehen und sich diese all für allemal in den verfluchten Kopf zu pressen!
Vielleicht hatte man ihr so etwas nie beigebracht. Dass man andere in Ruhe ließ, wenn sie es wollten. Das kannte sie sicher nicht – nicht aus ihrer vermutlich wundervollsten Kindheit der Welt. Weil sie doch immer willkommen war. Weil sie jeder mochte.
Meine Kiefer schmerzten. Erst jetzt bemerkte ich, wie fest ich sie zusammengedrückt hatte. Und obwohl mein Fokus starr auf die Ferne vor mir gerichtet war und ich der hellen Fähe keines Blickes würdigte, sah ich doch ihre sandfarbenen, glänzenden Iriden vor mir. Oder waren es vielmehr die meiner Schwester?
Groll staute sich in mir auf, brodelte hoch in meine Brust. Wütend kräuselte ich die Nase.
„Verpiss dich einfach.“ Die letzten Wortfetzen, die ich ihr fauchend zuwandte, ehe ich bereits den lichten Rand des Waldes erblickte und fest entschlossen war, Pamina ungerührt stehenzulassen.