Nach dem anstrengenden Weg sah ich mich um. Auf der Ebene war es vergleichsweise leer, nur einen Wolf (mali) entdeckte ich recht schnell. Etwas neugierig bewegte ich mich langsam auf den Wolf zu und beobachtete ihn genau . Auffällig legte ich mich an eine stelle von der ich die Fähe gut beobachten konnte. Neben ihr konnte ich eine weitere Figur erkennnen die auf einen Wolf hindeutete, jedoch konne ich nicht durch die Vegetation sehen und sah so nur wenig von dem vermutlichen Wolf
Ich war erstaunt über seine Offenheit. Seine Art, wie er einfach direkt und freundlich blieb, während ich es kaum schaffte meine Unsicherheit zu verbergen. Hoffnungsvoll sah ich ihn an. Vielleicht würde ich heute mal mehr als nur einen mickrigen Hasen zu fressen bekommen. Aufmerksam folgte ich seinem Blick und versuchte aus seinen Augen zu lesen, was er gerade dachte. Mein Blick lag so beharrlich auf ihm, dass ich den weißen Rüden [Syra] gar nicht wahrnahm.
Der Tag war gekommen. Cherryll und Yara hatten ihre letzte Prüfung bestanden. Sie hatten gestern gemeinsam den Wisent gerissen und nun lagen wir alle drei am Rande der Ebene, dort wo bereits die Bäume des Waldes ihre Schatten werfen und dösten satt und zufrieden. Die beiden jungen Fähen hatten sich in den letzten Monaten prächtig entwickelt und waren zu hervorragenden Jägerinnen herangewachsen. Da konnte ich ihnen nun nichts mehr beibringen-mein Werk war getan. Ich hatte sie jeden Tag gedrillt und immer das Äußerste von ihnen gefordert Das hatte sich bezahlt gemacht. Sie waren nun beide gerade mal ein Jahr alt, aber fast so groß, stark, schnell und wendig wie ein voll ausgewachsener und durchtrainierter Wolf sein sollte. Sie konnten nun alleine für sich selbst sorgen und im Rudel zusammenarbeiten. Sie kannten nun die Berge, die flache Steppe, das Wald- und das Moorland und jeden Winkel des Tals, der nicht zum Revier der großen Rudel gehörte. Wir waren ständig unterwegs gewesen und allen Kontakten ausgewichen. Die Fähen waren gut darin geworden, sich auch an anderen Wölfen unbemerkt vorbei zu schleichen. Sie waren auch intelligent - jede auf ihre Weise. Cherryll war natürlich die Dominante und gab immer den Ton an. Mir gegenüber verhielt sie sich jedoch respektvoll. Ich hatte auf strengste Disziplin geachtet. Yara war nicht ganz so kräftig wie ihre Schwester, aber so schnell wie der Wind. Sie schlug sogar mich im Wettrennen. doch auch Cherryll war schnell und ausdauernd. Das harte Training hatte sie beide gestählt.
Ich selbst war ja seinerzeit als Krieger und Nachfolger meines Vaters ausersehen gewesen und hatte ein besonderes Spezialtraining für den Kampf bekommen. auch das habe meinen Schülerinnen weitergegeben, aber vor allem als Krieger braucht man Erfahrung - so viel wie es geht. Die hatten sie beide nicht Sie hatten noch nie wirklich um Leben oder Tod gekämpft. Sie würden diese Erfahrungen ohne mich sammeln müssen, denn unser gemeinsamer Weg endete hier. Ich habe nun meine Verpflichtung erfüllt und meine Schuld gegenüber Conn abgetragen, so gut ich es vermochte. Nun war ich frei zu gehen, wohin auch immer ein Bradwr ohne Ehre und ohne Rudel gehen konnte. Es gab niemanden, der auf mich wartete, keine Welpen, die ich hinterließ, keine Gefährtin und auch keine Freunde. Ich würde einfach verschwinden - vielleicht in den Bergen ...
Um die Zukunft der beiden Schwestern brauchte ich mir jetzt wohl keine Sorge mehr zu machen. Sie würden ihren Weg finden. Yara war ohnehin sehr anpassungsfähig und eine Abenteurerin. sie würde dorthin ziehen, wohin der Wind sie trieb, den sie vielleicht ja mal sogar irgendwann überholen konnte-so wie sie lief. Cherryll hingegen war ernsthafter und überaus ehrgeizig. Am Anfang der Ausbildung hatte ich die Kraft genutzt, die ihr der Hass auf ihren Vater gab. So gab sie immer 200% Leistung - bis zur Erschöpfung- und lernte doppelt so gut und so schnell. Doch dann kam der Zeitpunkt, wo es wichtig war, dass sie einen klaren Kopf bekam und wir taten das, was ich am ungernsten tue. Wir führten lange Gespräche. Erst nach und nach verstand Cherryll, dass ihr Vater nicht der Feigling gewesen war, für den sie ihn hielt. Er war ein Friedensstifter, ein Kümmerer, ein Träumer, ein Visionär - aber eben auch ein echter Wolf. Als er sein Gesicht verlor, musste er gehen. Er hatte gar keine andere Wahl gehabt. Sie sollte das verstehen. Das war wichtig, denn es war ihr Erbe. Schließlich verstand sie auch und bereute, dass sie so sehr ihren Vater verdammt hatte und so erzählte ich ihr dann auch die ganze Geschichte unseres Clans, sofern sie mir noch präsent war. Beide - auch Yara - hörten sie abends aufmerksam zu und lernten. Dann war es vorbei. Cherryll und Yara waren jetzt eingeschlafen. Sie wussten auch, dass es vorbei war. Wir hatten gestern noch geredet. Ich mochte keine wortreichen Abschiede. Leise erhob ich mich. Ich wusste wohin ich wollte.
Ich erwachte und registrierte sofort, dass Odhran weg war. Er hatte es ja auch gesagt. Jetzt waren Yara und ich allein, allein auf uns gestellt. Odhran hat uns gut ausgebildet. Wir konnten mühelos überleben. Doch einen Platz für uns, den mussten wir noch finden. Ich war nicht bereit, das Tal zu verlassen. Es war meine Heimat. Ich bin hier geboren worden. Wenn ich es verließe, wäre ich nur eine Streunerin. Ich würde mein Geburtsrecht aufgeben. Nein, das darf nicht sein! Ich werde für mein Geburtsrecht kämpfen, kämpfen, kämpfen-so wie es mir Odhran beigebracht hat. Niemand soll mich eine Streunerin schimpfen und den Scheißkerl, der meine Familie zerstört hat, den werde ich mir auch noch schnappen - irgendwann, wenn ich weiß, wer und wo er ist! (@Jive) Doch jetzt ist jetzt! Wir sind allein, wir haben kein Rudel und jeder kann uns davonjagen, wenn er will. Ich blickte nachdenklich zu meiner Schwester, die gerade erwachte, sich räkelte und mir zublinzelte. Als ich sah, wie sie aufsprang und wie der Wind über die Ebene tobte - aus purer Lebensfreude und weil der Drill endlich ein Ende hatte, seuftzte ich. Irgendwie beneide ich dich, Yara! Du nimmst alles so leicht!
Fröhlich und ausgelassen tobte ich herum. Odhran war weg und endlich hatte die Schleiferei ein Ende! Wir hatten einen Wisent gerissen-einen WISENT und was hatte Odhran gesagt? "Nicht schlecht für den Anfang." Er hatte sich um uns gekümmert, uns ausgebildet und das werde ich ihm nie vergessen, aber er war auch eine absolute Spassbremse und ein gnadenloser Schleifer. Jetzt waren wir frei! Juhuuuuh! Nach ein paar ausgelassenen Runden kehrte ich zu Cherryll zurück, die sehr ernst-ja fast trübsinnig schien. Was ist los, Schwester? Was hast du?
Ich mache mir Gedanken, wie das jetzt weitergehen soll. Wir sind nur zu zweit, können jagen, ja! Können auch kämpfen, ja! Aber gegen die Rudelwölfe hier haben wir keine Chance. Das hat Papa schon gesehen- und der wollte immer nur Frieden. Deshalb hat er ja - auch zu unserem Schutz-den Clan um sich geschart. Doch als der ihn im Stich ließ, hatte er keine andere Wahl mehr gehabt, als wegzugehen. Ich verstehe das jetzt, weil Odhran es erklärt hat, aber das macht es nicht besser. Und ich WILL hier nicht weggehen. Das hier ist meine Heimat! Wir sind KEINE Streuner!!!. Ich machte eine kurze Pause und ordnete meine Gefühle. Odhran hatte uns da eine hervorragende Atemtechnik beigebracht. "Wenn du kämpfst, dann kämpfe mit klarem Kopf! Wenn das nicht der Fall ist, hast du schon verloren." Das hatte Odhran gesagt. Dann fuhr ich fort. Wir sind nur zu zweit und im Kampf zwar ausgebildet, aber unerfahren. Sie werden uns platt machen wie die Hasen, wenn sie uns erwischen. Ich blickte Yara fest in die Augen. Was hältst du davon, wenn wir uns einem Rudel anschließen?
Ach, Rill, du machst dir zu viele Sorgen! Ein Rudel - ja, das wär´vielleicht schön! Aber wenn nicht, dann nicht! Ich hab´nix dagegen eine Streunerin zu werden.! Die Welt ist groß und voller Abenteuer! Vielleicht könnten wir uns ja auch auf die Suche nach Mama und Papa machen. Sie müssen doch irgendwohin gegangen sein. Ich versteh´ja, dass du bleiben willst und ich lass´dich bestimmt auch nicht im Stich, aber - wie gesagt - die Welt ist groß! Ich sah Cherryll aufmunternd an. Dann hatte ich eine Idee. Was hältst du davon, wenn wir erst einmal gucken, wo die anderen Wölfe von unserem Clan geblieben sind? Da sind ja noch unsere Brüder, Onkel Saki und Tante Morgra, Onkel Abruzzo und die anderen. Die müssen doch auch noch irgendwo sein, wenn sie nicht das Tal verlassen haben oder tot sind. Komm´Cherryll, seh´nicht alles so schwarz! Odhran hat uns von allem abgeschirmt, ist mit uns die Wege gegangen, wo sonst keiner war. Lass´uns doch mal einfach unter die Wölfe gehen. Vielleicht ergibt sich ja dann etwas!
Ich lauschte Yaras Worten. Ihr Optimismus sprach Bände, aber ich teilte ihn nicht unbedingt. Dennoch schien es mir eine gute Idee zu sein, ein guter Versuch zumindest. Du könntest recht haben, Schätzchen, meinte ich schließlich nach einigem Nachdenken. Lass´uns nach unseren Wurzeln suchen, lass´uns nachsehen, was vom Clan noch übrig ist! Insgeheim dachte ich an Tante Morga. (@Morgra) Wie gerne würde ich sie wiedersehen! Wo wollen wir anfangen, Yara? Bei der Rauschhöhle?
Ich blieb eine ganze weile liegen und beobachtete die beiden wölfe weiter, bis ich zwei neue stimmen vernahm. Die beiden neuen wölfe auf der ebene waren mir recht nah, ich konnte jedoch nur alles sehr undeutlich wahrnehmen. Ich entschied mich dazu an einen anderen ort zu gehen, wählte dabei aber den längeren weg da ich nichts mit den beiden anderen zutun haben wollte die sich auf den weg in die selbe Richtung machten
Hektisch flüchtete ich aus dem Wald, stolperte über einen Stein und flog schmerzhaft auf die Nase. Erschrocken jauelte ich auf und blieb liegen. Tränen benetzen meinen Pelz, als ich die spitzen, scharfen Steinchen spürte die sich in meine Haut gegraben hatten. Zitternd suchte ich mir eine geschützte Ecke unter einem aus der Erde gerissenen Fels und verkorch mich darunter.
Müde aber gut gelaunt setzte ich mich hin und sah mich aum. Die Aussicht war alles andere als schlecht, und ich beschloss, ein bisschen zu verweilen. Meine Läufe schmerzten ohnehin und ein wenig Pause hatte noch niemandem geschadet.
Mit vorsichtigen Schritten überquerte ich die Ebene, hier gab es wenig Schutz. viel zu Wenig Schutz, jeder Wolf konnte mich mühelos sehen. Mit meinem weißen Fell war ich wie eine Zielscheibe in der grünen Landschaft. Ich trabte mit gedrucktem Kopf vorran, irgendwo musste es doch Schutz geben...
Ich hatte gar nicht gemerkt, dass ich eingeschlafen war. Meine Müdigkeit musste mich wohl überwältigt haben. Ausgeruht und glücklich stand ich auf und trabte ein bisschen im Kreis um wach zu werden. Nachdem ich damit fertig war, lief ich einfach der Schnauze nach durch die Gegend. Es gab bestimmt was zu entdecken oder jemanden zu treffen.
Wolfsrudel - Das Leben der fünf Rudel
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07.06.2018 23:40 (zuletzt bearbeitet: 07.06.2018 23:42)
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